Kritik

Getränkt mit radikaler Zärtlichkeit

Ob Shakespeare seiner Ophelia mehr hätte zumuten sollen? Mit „Ophelias Got Talent“ (2022) zieht Florentina Holzinger eine scharfe Analyse von Unterdrückungsmechanismen, körperlicher Grenzverschiebung und weiblichen Identitätsspektren. Autorin Lena Funke war bei der Aufführung am 11. Juli im Rahmen des asphalt Festivals am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Foto oben: Bahar Kaygusuz
Beitrag von: am 14.07.2025

Als Florentina Holzinger-Jungfrau erwartet man ein interdisziplinäres, fast gewaltverherrlichendes Spektakel, talentierte Körper als Kostüm und Vermittler und einen choreografischen Ansatz im Fokus. Nach zweieinhalb Stunden kommt man aus dem ausverkauften Saal nicht als Maria, sondern getränkt mit radikaler Zärtlichkeit und triefend vor Stolz für Weiblichkeit raus. Grenzen werden in der Produktion nicht überschritten, sondern wie der Schwimmbeckenrand auf der Bühne angezündet und wieder gelöscht.

Die österreichische Choreografin und Performancekünstlerin sowie 26 weitere diverse und weibliche Darstellende verwandeln mit der nackedei-esquen Wasser-Show „Ophelia’s Got Talent“, koproduziert vom asphalt Festival, am ersten von drei aufeinanderfolgenden Abenden die Große Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses in einen 18+-Spielplatz und erhalten dafür eine tosende Standing Ovation.

Bei Shakespeare ist Hamlets Ophelia umringt von Männern und zu konfliktscheu, um den für ihr Leid verantwortlichen, äußeren Kräften standzuhalten – im Tod nach ihrem handlungsbewussten Aufstand im Blumenbad übergibt sie ihren Körper dem Wasser. Die schamanische Sun Bear-Bewegung wird hier zitiert „Mutter Erde trag‘ mich heim – Dein Kind will ich immer sein – Mutter Erde trag‘ mich heim, heimwärts zu dir“.

Vergangenheit und Gegenwart im Schwimmbecken

Holzinger, die laut „Monopol“ einflussreichste Persönlichkeit im Kunstbetrieb 2024, inszeniert ihre Ophelia als aufbrausend, sprudelig und im gleichen Becken schwimmend wie die mittelalterliche Sagengestalt Melusine und die Frau der Gegenwart. Bei der hier inszenierten Talentshow sitzt ein unermüdlicher Captain Hook (Annina Machaz) auf der Bühne, welcher den Wasserfall an Tap Dancing und Pir(at)ouetten, Varieté-Theater, Luftakrobatik, Messerschlucken und gynäkologischen Eingriffen gewitzt moderiert. Der Bühnenbildner Nikola Knežević saugt alles aus der Bühne, was flüssig ist, füllt die Becken mit Kunst-Ejakulation und -Blut, womit die Körper der Schwimmenden im Wasser eingebettet werden, und die Luft mit Angelhaken und Plastikflaschen.

Die Performance als Überlebenskunst

Bei Ophelias Tod dreht die Inszenierung am Steuerrad und stellt schleichend die Frage: Wie kann man die Performanz des sozial konstruierten Weiblichen nach Philosophin Judith Butler mit der Überlebenskunst in einer nötigenden korrupten Welt ertragen? Ambitioniert-akrobatisch, harmonisch-planschend, kämpferisch-röchelnd und masturbierend-stöhnend drücken diese Frauen in ihren Rollen ihre Auflehnung gegenüber der gezielten Unterdrückung des Weiblichen durch permanent repetitive patriarchale Systemstrukturen aus.

ein Hubschrauber über einer Bühne mit einem Schwimmbecken, an dem mehrere Darstellende hängen „Ophelia's Got Talent“ von Florentina Holzinger. Foto: Bahar Kaygusuz

Die Atmosphäre auf der Bühne bietet mutigen Zuschauer:innen und Kindern aus dem Ensemble, die als Matrosen der Hook-Besatzung auf die Bühne kommen, einen Safe Space – man kann kaum empört sein, wenn sie in dem adults-only-Becken mit anpacken. Die gefesselten und fesselnden Darstellerinnen bieten ihnen im gegenseitigen Umgang eine Vertrautheit sowie Nahbarkeit an und lassen sie von der choreografierten Überkörperlichkeit und den Nixenkostümen nicht überschwemmen.

Ein blutgetränktes Finale

Zugegebenermaßen sprudelte teils eine Attraktionsgeilheit auf, doch diese wird durch entschleunigte Narrative, in denen Performerinnen ihre traumatischen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt, Alkoholismus und Anorexie teilen, gedämpft. Während bei der Talentshow eifrig applaudiert wird und nach einer Action-Helikopter-Orgie Kunstblut und Verstörung über die Bühne fließen, vergießt man hier salzige Tränen zu Schicksalen, die man in den eigenen Kreisen wiederfindet.

Im blutgetränkten Finale heißt es nicht mehr wie auf gut Rheinländisch „Ahl Jeeße lecke och jern Salz“ („Manches ältere Mädchen wird noch gerne in den Arm genommen“), denn jetzt ist die neue Generation der tanzenden Matrosenkinder dran und für die gilt: Sei keine Disney-Arielle, die sich verkauft, um für einen halbstarken Macker an Land zu gehen. Sei eine fotzige Sirene, die sich mit ihren Flinta*s, stolzer Brust und schillernd-harten Schwänzen austobt.

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mit Melody Alia, Saioa Alvarez Ruiz, Inga Busch, Renée Copraij, Sophie Duncan, Fibi Eyewalker, Paige A. Flash, Florentina Holzinger, Annina Machaz, Xana Novais, Netti Nüganen, Urška Preis, Zora Schemm (RambaZamba Theater)

und Adele Brinkmeier, Stella Adriana Bergmann, Greta Grip, Golda Kaden, Fiene Lydia Kaever, Izzy Kleiner, Elin Nordin, Lea Schünemann, Rosa Shaw, Nike Strunk, Lenya Tewes, Thea Wagenknecht, Laila Yoalli Waschke, Zoë Willens

Konzept & Regie: Florentina Holzinger
Sounddesign: Stefan Schneider
Musik: Paige A. Flash, Urška Preis, Stefan Schneider
Bühne: Nikola Knežević
Lichtdesign: Annee Meeussen
Videodesign: Melody Alia, Jens Crull, Max Heesen
Live-Kamera: Melody Alia
Dramaturgie: Renée Copraij, Sara Ostertag, Fernando Belfiore, Michele Rizzo
Technische Leitung: Stephan Werner
Technische Assistenz: Jan Havers, Dörte Wilfroth
Bühnenassistenz: Camilla Smolders
Produktionsleitung: Katharina Wallisch, Stephan Werner
Tourmanagement: Moira Garee
Management & internationale Distribution: Katharina Wallisch & Giulia Messia – neon lobster

Eine Produktion der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz and Spirit, koproduziert vom asphalt Festival, Productiehuis Theater Rotterdam, Tanzquartier Wien, ArsenicLausanne, Gessnerallee Zürich, Kampnagel Internationales Sommerfestival und DE SINGEL Antwerpen

Triggerwarnung: Die Inszenierung beinhaltet selbstverletzende Handlungen, Blut, Nadeln, Sroboskop-Licht, explizite Darstellung oder Beschreibung körperlicher oder sexualisierter Gewalt.
Altersempfehlung: 18+

Lena Funke. Foto: privat

Lena Funke ist 2004 geboren und in Aachen aufgewachsen. Sie studiert Medien- und Kulturwissenschaft in Düsseldorf, Toulouse und Wien. Am liebsten sitzt sie in Vorstellungen, die somatisch-leiblich, weiblich und politisch unausweichlich sind.