Story

Portrait

Regisseurin Paulina Neukampf erzählt von ihrer Arbeit am Theater Paderborn und davon, warum ihr Kinder- und Jugendtheater wichtiger ist als Erwachsenentheater.

Foto oben: Annette Hauschild/Ostkreuz
Beitrag von: am 03.05.2021

Mitten im harten Lockdown, am 1. Januar 2021, ging am Theater Paderborn jott an den Start, die neue Sparte für Kinder- und Jugendtheater, finanziell ermöglicht durch das Förderprogramm Neue Wege des Landes Nordrhein-Westfalen. Premieren gab es situationsgemäß, bis auf eine mobile Produktion, noch keine zu sehen. Dafür gibt es Mitmachgebote, besonders für Kita- und Grundschulkinder, etwa das Kreativpaket „Theata Morgana“ mit einer digitalen Ausstellung.

Eine Überraschung war die Besetzung der künstlerischen Leitung des immerhin 10-köpfigen Teams des jott mit der 40-jährigen Regisseurin Paulina Neukampf. Sie hat in ihrer Karriere zwar viele Inszenierungen für junges Theater herausgebracht, zwei für sehr junges Publikum auch in Paderborn. Aber ihre Karriere schien sich zuletzt deutlich in Richtung des „erwachsenen“ Theaters zu bewegen, etwa mit dem von Publikum und Kritik gefeierten, für das Theater Oberhausen entwickelten Jelinek-Audiowalk „Prinzessinnendramen“. Jetzt wird Paulina Neukampf ihre Zeit auf Sicht zwischen Ostwestfalen und ihrem Wohnort Berlin aufteilen, wo sie mit ihrem zehnjährigen Sohn Kieran lebt. In einem Zoom-Gespräch gab sie uns freimütig Auskunft über …

… Kinder- und Jugendtheater an sich:

„Oft habe ich das Gefühl, dass es mehr Sinn macht, wenn ich etwas für junge Menschen mache als für Erwachsene. Die jungen Menschen von heute regieren uns in 20 Jahren, werden unsere Ärztinnen und Ärzte sein, unsere Polizei, unsere Generalinnen und Generale, unsere Lehrerinnen und Lehrer. Was wir heute für diese Menschen tun, wenn wir sie auf unsere Weise am Theater mit Wissen, mit Empfinden, mit Empathie ausstatten, bekommen wir vielleicht in 20 Jahren zurück. Als Leiterin wie als Regisseurin interessieren mich Gruppenprozesse sehr. Das ist hier umso wichtiger und schöner, weil es sich um eine neue Sparte handelt.“

Paulina Neukampf. Foto: Annette Hauschild/Ostkreuz

… Pläne und Themen:

„Wir haben den Klimaschutz als Thema für unsere erste Spielzeit gewählt, weil sich junge Leute heute dafür politisch engagieren. Ich erinnere mich nicht, mit 12 oder 13 Jahren auf Demonstrationen gewesen zu sein. Auch ich habe die Schule geschwänzt, aber eher, um am Ostseestrand abzuhängen. Ich hatte damals keine politischen Themen im Kopf. Dass das heute bei vielen jungen Menschen anders ist, bewegt mich sehr. Mit dieser Themensetzung wollen wir sagen: Wir sind bei euch, wir verstehen euch, lasst uns einen Dialog führen.“

… Umgang mit Theatertexten:

„Für mich ist eine Textvorlage vor allem Anker. Wenn ich mich im Probenprozess verrenne oder verliere, kann ich immer noch zum Stücktext zurückkommen. Grundsätzlich gehe ich aber frei und kreativ mit Texten um. Im Kinder- und Jugendtheater hat der Umgang mit dem Text auch mit der Altersgruppe zu tun, für die man arbeitet. Zum Beispiel haben Drei- bis Sechsjährige oft einen Drang zum Realismus. ‚Das ist doch eine Unterwassergeschichte. Wieso haben die jetzt da ein Blatt Papier? Das wird doch komplett nass.‘“

… Probenarbeit:

„Als Regisseurin sitze ich ja draußen und bin Zuschauerin. Ich gebe den Schauspieler*innen Aufgaben und versuche so Situationen zu kreieren, die mich selbst überraschen. Gerade in den ersten zwei Probenwochen, wenn die Schauspieler*innen ihren Text noch nicht können, sprechen und handeln sie viel intuitiver. Sie verstehen die Figuren und Situationen vollständig, und öfters geben sie ihnen eine komplett neue Farbe, die mit auswendig gelerntem Text nie auftauchen würde.“

… Heimat:

„Meine ganze Familie lebt nach wie vor in Polen. Ich bin 1980 geboren, und meine Großeltern haben mir viele Geschichten aus der Kriegszeit erzählt. In Polen gründet der Patriotismus sehr tief. Vieles, was in Polen unter Patriotismus läuft, würde in Deutschland bereits ‚Nationalismus‘ heißen. Als ich hierherkam, war ich mir sicher, keine Vorurteile gegenüber Deutschland zu haben, habe aber bald gemerkt, dass das nicht stimmt. Ich habe dann versucht, reflektierend diese Art des Denkens loszuwerden – das hieß aber auch: ‚Loswerden‘ von gewissen Anteilen der polnischen Identität, sich ein wenig von dem eigenen Kulturkreis, der eigenen Geschichte, der Opfer- oder Underdog-Haltung emanzipieren, eben weil ich jetzt in Deutschland lebe. Mit Frankreich oder Italien wäre das wohl wieder ganz anders. Ich habe da bewusst versucht, eine Balance zu finden, und glaube, das ist gut gelungen. Ich habe nicht das Gefühl, etwas verloren zu haben, im Gegenteil: Umso bewusster bin ich mir jetzt als Polin, aber auch als Deutsche, denn inzwischen habe ich beide Staatsbürgerschaften. Und angekommen fühle ich mich schon sehr lange.“