Die Vegetarierin am Akademietheater Wien

Kritik

Vegetarierin mit Beigeschmack

Am Wiener Akademietheater inszeniert Marie Schleef die deutschsprachige Erstaufführung von Han Kangs „Die Vegetarierin“ mit Fokus auf das Pflanzenmotiv. Doch der Versuch, das koreanische Werk in Österreich auf die Bühne zu bringen, hat einen Beigeschmack.

Foto oben: Christoph Liebentritt
Beitrag von: am 10.05.2025

Spätestens seit Han Kang letztes Jahr den Literaturnobelpreis verliehen wurde, ist auch ihr 2007 erschienener Roman „Die Vegetarierin“ wieder in aller Munde. Die deutschsprachige Erstaufführung in der Übersetzung von Ki-Hyang Lee wurde nun 18 Jahre später am Akademietheater in Wien inszeniert.  Im November wurde es bereits in italienischer Sprache unter anderem als Teil des Autumn Festival 2024 am Odéon Théâtre de l’Europe in Paris inszeniert. Die Frage beschäftigt, wieso das mehrfach ausgezeichnete Werk erst jetzt seinen Weg auf die deutschsprachige Bühne findet. Schließlich handelt es sich um einen Stoff, der laut der Autorin nicht nur das koreanische Patriarchat, sondern vor allem international weltliche Probleme anspricht. Und die Regisseurin Marie Schleef ist dafür bekannt, dass sie Stimmen und Texte von Frauen auf der Bühne inszeniert. Doch bei einer Inszenierung von Han Kangs Roman bleibt dennoch Vorsicht geboten, besonders eine Besetzung ließ im Vorhinein Schwierigkeiten erahnen.

Eine Mischung aus Videointermissionen, die die drei Teile des Romans unterteilen, und ein Schauspiel in Zeitlupe, bestimmen den Abend. Die Figuren bewegen sich wie durch Wasser, sprechen in normaler Geschwindigkeit, doch die Anstrengung dieser Technik ist nicht nur den Spielenden anzumerken, sie nagt auch an der Geduld der Zuschauenden. Den vermutlich intendierten Effekt dieser Spieltechnik, dass Widerstand in einer patriarchalen Gesellschaft extrem schwierig und energieraubend ist, liegt Kangs Werk an sich genügend zu Grunde. Denn die Protagonistin Yong-Hye kämpft mit einer Welt, in der sie nicht mehr Mensch sein will, in der sie Menschlichkeit aufgegeben hat. Sie will zu einer Pflanze werden.

Kotti Yun in "Die Vegetarierin" Kotti Yun in „Die Vegetarierin“ am Burgtheater Wien

Ein Traum und Widerstand

Nach einem Traum über die grausame Gewalt von Menschen gegenüber Tieren entscheidet sich Yong-Hye vegan zu leben. Doch dem Titel eher fernliegend, geht es nicht ums vegetarisch sein oder eine Diät, die ihre Familienmitglieder ihr unablässig unterstellen. Yong-Hye trifft das erste Mal eine Entscheidung, die vor allem ihrem Ehemann und ihren Eltern nicht passt. Und es ist eine Entscheidung, die ihren eigenen Körper betrifft, die bei ihrer Familie rigorose Empörung auslöst und bis hin zu einer Zwangsfütterung mit Fleisch führt. Die Metapher der Vegetarierin zeigt, dass besonders Frauen im Patriarchat keine Macht haben und es mit brutaler Gewalt zu tun haben, sobald sie selbstbestimmt sein wollen. Ihren Leidensweg bis hin zur Psychiatrie geht Yong-Hye auch durch sexualisierte Gewalt, die in Schleefs Inszenierung ohne eindeutige Vergewaltigungszenen bleibt. Die Inszenierung ist intensiv, explizit und ohne jede Scheu vor Körperlichkeiten – wieso dabei die Vergewaltigungen gestrichen wurden, erschließt sich nicht.

Das Bühnenbild ist zunächst schlicht und klinisch-weiß, was die in Plastik verpackten Leichenteile von Tieren roh und blutig hervorhebt. Dieses Bild wird im zweiten Teil dann durch das Anmalen nackter Körper gebrochen. Ein Fernsehkabinett mit abstrakten künstlerischen Videos spielt auf die multiplen Perspektiven und Realitäten einer Gesellschaft an. Am Ende befindet sich Yong-Hye in einem Garten, der das Natur- und Pflanzenmotiv, das die Inszenierung bereits mit die Videosequenzen durchzog, vollendet.

Irritierender Versuch

Schleef konzentriert sich verstärkt auf das Pflanzenmotiv des Romans und hat mit Kotti Yun eine koreadeutsche Schauspielerin besetzt, die der Rolle der Yong-Hye mehr als nur tiefe Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit verleiht. Dennoch begleitet eine ständige Irritation diese Inszenierung. Neben Kotti Yun ist der Großteil der Besetzung nicht-asiatisch. Die Figuren sind im Original koreanisch angelegt und die Besetzung mit unter anderem weißen Schauspieler:innen hat einen Beigeschmack. So wirken Begriffe wie „hierzulande“, auch wenn nebensächlich erwähnt, doch problematisch. Ein kontinuierliches Bezeichnen von Kotti Yun als „verrückt“ verstärkt ein Bild des „Otherings“ von asiatischen Personen. Der Aspekt von Repräsentation und Race ist in diesem Kontext schwierig zu ignorieren und kann diskriminierend und verletzend sein, besonders durch den westlich geprägten und verbreiteten Blick des Orientalismus.

Ob sich eine Inszenierung von „Die Vegetarierin“ mit mehr Rücksicht auf Repräsentation und Diskriminierung im deutschsprachigen Raum umsetzen lässt, bleibt fraglich. Inszenierungen wie Mithu Sanyals „Identitti“ am Düsseldorfer Schauspielhaus zeigen, dass Race respektiert werden kann und muss, auch wenn der Weg dahin in einer weiß-europäischen Theaterlandschaft sicherlich kein leichter ist.

 

Mohme_Lucie

© privat

Lucie Mohme studierte Englischen Philologie und Philosophie in Göttingen. Seit 2023 ist sie freie Mitarbeiterin und Autorin bei Die Deutsche Bühne und schreibt für das Wiener Kulturmagazin Bohema. Derzeit studiert sie an der Universität Wien Anglophone Literatures and Cultures im Master mit dem Schwerpunkt Gender und irisches Theater.