Christian Friedel hinter den Kulissen des Düssel- dorfer Schauspielhauses in Schwarz-Weiss

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„Als Jugendlicher war ich extrem von mir überzeugt“

Christian Friedel ist Schauspieler, Regisseur und Musiker. Mit seiner Band „Woods of Birnam“ spielt er Theater und Konzerte. Im Interview verrät er uns, dass Musik im Schauspiel für ihn schon bei der Sprache beginnt und warum er sich manchmal schämt, wenn er an seine Jugend zurückdenkt

Foto oben: Christian Friedel hinter den Kulissen des Düssel- dorfer Schauspielhauses. Foto: Sandra Then
Beitrag von: am 01.09.2018

junge bühne Wenn man Theaterproduktionen sieht, in denen du mitspielst, fällt auf, dass Musik eine große Rolle spielt. Funktioniert Theater für dich nur über Musik?

Christian Friedel Selbst Sprache hat ja eine eigene Musikalität und Rhythmus, deswegen braucht man nicht immer eine Band im Theater. Heute wird das fast inflationär eingesetzt; was vor einigen Jahren auf der Bühne die Leinwand war, ist heute die Liveband. Deswegen finde ich es auch faszinierend, wenn man es schafft, allein über Sprache Atmosphären zu erschaffen. Musiziert wurde schon immer im Theater; ich glaube, Theater funktioniert aber auch ohne. Gerade im Film wird Musik häufig als Manipulationsmittel eingesetzt, um dem Zuschauer zu zeigen, was er fühlen muss; aber zu merken, dass man das gar nicht braucht, ist auch ganz toll.

junge bühne Könntest du dir also auch vorstellen, wieder in einer Inszenierung ohne Musik zu spielen?

Christian Friedel Absolut, ich wünsche es mir regelrecht. Wenn ich mit meiner Band Musik mache, ist das eine eigene Form des künstlerischen Ausdrucks. Ich brauche das aber nicht unbedingt in jedem Stück. Als Schauspieler habe ich sogar die Sehnsucht, mal nicht zu singen. Deswegen mochte ich auch Inszenierungen wie „Don Carlos“ oder „Arturo Ui“ in Dresden, in denen ich nicht gesungen habe, extrem.

junge bühne Warum sind Theaterstücke mit Musik, wie du sie machst, so beliebt?

Christian Friedel Die Musik öffnet durch Emotionen viel schneller Türen bei den Zuschauern; sie ist da fast etwas simpel. Andererseits sind solche Stücke im Repertoire natürlich wichtig. Gerade bei „Hamlet“ haben wir gemerkt, dass auch jüngere Zuschauer durch die Musik viel zugänglicher waren für das Stück.

junge bühne Wie bist du zur Musik gekommen?

Christian Friedel In meiner Kindheit habe ich immer gesungen, das lief eigentlich immer parallel zum Schauspielen. Es ging weiter mit unzähligen Bandprojekten, Musikprojekten, Kassetten, die man sich jetzt nicht mehr anhören möchte. (lacht) An der
Otto-Falckenberg-Schule hatte ich dann einen tollen klassischen Gesangslehrer; das hilft natürlich sehr, wenn man so viel sprechen und singen muss. 

junge bühne Regie führst du ja nun auch noch …

Christian Friedel Ursprünglich wollte ich Regisseur werden, bis mir ein Regisseur sagte, du hast Talent, mach aber erst einmal eine Schauspielausbildung und sammle Erfahrungen. Und so habe ich mich an Schauspielschulen beworben. Ich habe aber immer parallel Regieprojekte mit Jugendlichen gemacht. Dieser Wunsch, Regisseur zu werden, ist aus dem Drang des Erzählens heraus entstanden und aus dem Wunsch, etwas atmosphärisch so zu erzählen, dass das Publikum so begeistert ist, wie ich es als Kind im Theater war. 

junge bühne Gab es in deiner Kindheit und Jugend wichtige Personen, die dich gefördert haben?

Christian Friedel Die Freien Kammerspiele Magdeburg haben mich geprägt, das war ein sehr innovatives Theater. Es gab dort einige Inszenierungen und Gastspiele von Regisseuren, die mich durch ihre Bildhaftigkeit und atmosphärische Sprache sehr fasziniert haben. Diese Eindrücke haben sich so tief eingepflanzt, dass ich immer wieder daran anknüpfe. Und natürlich gab es im Jugendclub des Theaters Magdeburg, in dem ich war, und später in der Schauspielschule immer wieder Begegnungen, die mich in meiner Arbeit beeinflusst haben. 

junge bühne In euren Musikvideos, aber auch im Shakespeare-Abend kommt ein gewisser Hang zur Morbidität zum Ausdruck, der sehr an Gothic-Rock-Bands, das Wave-Gothic-Treffen in Leipzig und so weiter erinnert. Du bist ja im Osten aufgewachsen, hat diese Gothic-Lebensart dich geprägt, beziehungsweise warst du Teil davon? 

Christian Friedel Jeder Ossi ist bestimmt irgendwo auch ein versteckter Goth. (lacht) Das Thema Tod hat mich aber schon sehr früh fasziniert. Durch den Tod meines Opas wurde ich damit zum ersten Mal direkt konfrontiert, und auch meine Eltern sind beide früh verstorben. Somit ist der Tod immer einerseits verbunden mit der Angst davor, aber auch mit der Faszina-tion, was das für ein Zustand ist, ohne den diese intensive Form des Lebens gar nicht existieren würde. Ich denke, auch meine Musik hat daher immer ein bisschen eine Tendenz zur theatralischen Schwere. 

junge bühne Shakespeare passt dazu auch gut …

Christian Friedel Ja, obwohl ich das Thema Tod vordergründig gar nicht in seinen Texten gesucht habe. Ich hatte eher die Idee, dem Künstler, der uns diese Worte schenkt, nachzuspüren. Dass das aber immer wieder zu den Themen hinläuft, die einen selbst faszinieren, wurde mir erst später bewusst. 

Christian Friedel, Elisa Gie­secke und Detlev Baur (v. l.) trafen sich im Düsseldorfer „Central“ Christian Friedel, Elisa Gie­secke und Detlev Baur (v. l.) trafen sich im Düsseldorfer „Central“. Foto: Sandra Then

junge bühne Deine Bandkollegen kommen aus dem Elektropop – waren sie sofort begeistert davon, Shakespeare zu vertonen?

Christian Friedel Sie waren sehr neugierig. Durch die Arbeit an „Hamlet“ haben sie immer mehr Blut geleckt, und plötzlich fand eine richtige Auseinandersetzung mit Shakes-peare statt. Es war schön zu sehen, wie die Jungs sich haben faszinieren lassen von der Sprache und den Bildern und dass daraus dann Klänge entstanden sind.

junge bühne „Das weiße Band“ von Michael Haneke, in dem du mitgespielt hast, wurde für den Oscar nominiert,
auch die „Goldene Palme“ in Cannes habt ihr dafür bekommen. Was für eine Welt ist das, in die man dort ein-
taucht? Und brauchst du diese Form der Anerkennung?

Christian Friedel Jeder Schauspieler braucht Anerkennung für seine Arbeit. (lacht) Dieses Jahr 2009 mit den vielen Preisen und dem ganzen Blitzlichtgewitter war etwas, wovon man als Jugendlicher geträumt hat. Und ja, das war auch toll; aber man merkt mit der Zeit, dass es nicht das ist, was man sich davon verspricht. Von Popularität verspreche ich mir viel eher, dass ich genau in der Vielfalt weiterarbeiten kann, wie ich es jetzt tue. Früher war das Berühmtsein schon ein Antrieb für mich, aber man merkt, dass dieses Business eben doch sehr oberflächlich ist. Das habe ich auch beim Eurovision Song Contest gemerkt („Woods of Birnam“ traten 2016 mit Lift Me Up (From The Underground)“ beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest an; Anm. d. Red.). Nachdem ich diesen Mainstreamzirkus hinter den Kulissen hautnah miterleben konnte, war ich plötzlich wie geheilt von dem Wunsch, „Popstar“ werden zu wollen. Es ist zwar bis zu einem Grad wichtig, den roten Teppich oder das Blitzlichtgewitter mitzunehmen, um Aufmerksamkeit zu generieren; aber das führt jetzt nicht dazu, dass ich eine Homestory mit der Bunten machen will.

junge bühne Wie empfindest du die Arbeit als Filmschauspieler im Vergleich zur Arbeit als Theaterschauspieler? Das ist ja ein jeweils ganz anderes Spielen.

Christian Friedel Im Film ist es toll, dass man mit ganz wenig Aufwand spielen kann, man muss ja nicht wie im Theater bis zur 25. Reihe durchkommen, man kann sehr bei sich bleiben, viel über die Augen, das Innere erzählen. Was ich beim Film nicht mag, ist das Unterbrochene, dass man in den Szenen springt. Bei „Elser“ zum Beispiel musste ich mir mitten in den Dreharbeiten die Haare komplett abrasieren, weil die KZ-Szene nicht am Ende gedreht werden konnte. Danach spielte ich dann mit Perücke das Kennenlernen mit meiner Geliebten. Das finde ich seltsam. Am Theater finde ich toll, dass du einen Charakter jeden Abend von Neuem erzählen musst und dass du unmittelbar die Reaktion des Publikums spürst. Das fehlt mir beim Film.

junge bühne Gibt es einen Unterschied in der Erarbeitung von Figuren der Zeitgeschichte wie Georg Elser oder einer literarischen Figur wie Hamlet?

Christian Friedel Im Fall von Georg Elser, aber auch Adi Dassler gibt es nicht so viel Bild-,
Video- oder Audiomaterial, sodass man auch eine gewisse Freiheit hat bei der Entwicklung der Figuren. Man versucht, durch Informationen, durch Bücher oder indem man mit Zeitzeugen spricht, sich ein Bild von der Person zu machen und das mit der eigenen Persönlichkeit zu verbinden. Mein Anspruch ist, mich zu verwandeln, deshalb bin ich Schauspieler geworden, aber man merkt mit der Zeit, dass man viel von sich mit reinbringen muss, damit es möglichst authentisch rüberkommt. Im Theater ist der Probenprozess toll; da kannst du dich ausprobieren, das gibt es beim Film nur selten.

junge bühne Wenn du merkst, dass eine Inszenierung nicht so gut läuft und du jeden Abend kämpfst, gibt es da Momente, wo du keine Lust mehr hast, auf die Bühne zu gehen?

Christian Friedel Klar, die gibt es. Es gibt auch Inszenierungen, wo man denkt, hoffentlich kommen die nicht über zehn Vorstellungen hinaus. Ich habe mich schon selbst in Inszenierungen gelangweilt, das ist zermürbend, aber man muss sich eben motivieren. Ich versuche dann einfach, positiv zu denken und mir zu sagen, wie toll es ist, dass ich hier auf der Bühne stehen kann, andere würden sich die Finger lecken. Dann ist das wie ein Bühnenethos, indem man sagt, ich versuche jetzt alles zu geben, auch wenn es schwerfällt. Ich spiele ja für die Zuschauer und nicht für die eigenen Befindlichkeiten.

junge bühne Machst du dir vor Probenbeginn viele Gedanken über deine Rolle?

Christian Friedel Eigentlich gehe ich gerne unmittelbar auf die Proben, ich mag den Moment des Nichtwissens, auch, dass etwas vielleicht scheitern kann. Ich zermartere mir nicht den Kopf mit dramaturgischen Fragen, sondern ich versuche, im Moment Sachen auszuprobieren. Mein persönliches Highlight war „Der Kaufmann von Venedig“ in Dresden. Die Männer haben darin die Frauenrollen gespielt, wie das eben zu Shakespeares Zeiten gemacht wurde, und der Regisseur Tilmann Köhler hat eine Abendprobe einfach laufen lassen, wir haben zweieinhalb Stunden nur improvisiert. Das war so großartig, darüber sprechen wir heute rückblickend immer noch. Auch Michael Haneke war in der Hinsicht ein Mentor, weil er schon durch die Besetzung die halbe Arbeit gemacht hat. Beim Dreh hat er dann kaum gearbeitet, er hat vielmehr die Schauspieler losgelassen. Was du erzählst mit der Figur, hat er schon beim Casting gesucht und gefunden. Das war faszinierend.

junge bühne Im Gespräch wirkst du eher zurückhaltend. Woher nimmst du die Expressivität und Explosivität, wenn du auf der Bühne stehst?

Christian Friedel Das klingt vielleicht blöd, aber ich war als Jugendlicher extrem von mir überzeugt. Es gibt Dinge, für die ich mich im Nachhinein noch schäme. In den Proben war ich teilweise ein unglaublicher Usurpator. Wir haben den Jugendclub selber übernommen, weil unsere Leiterin gewechselt hat, und plötzlich waren wir die Chefs. Dabei hatten wir überhaupt keine Ahnung, wir waren ja auch keine Theaterpädagogen, und haben teilweise auch Vorsprechen durchgeführt. Die Leute begegneten mir einerseits mit Faszination und mit Abscheu, weil ich eben so war. Irgendwann habe ich dann gemerkt: Du musst deine Schauspieler lieben, du musst dein Team lieben – und mit dieser Reife konnte ich dann plötzlich alle ins Boot holen. Und da war mir klar, nur so können Dinge entstehen, die du alleine gar nicht leisten kannst. Aber dieses Brennen für etwas, das habe ich schon sehr von meinen Eltern mitgenommen, die aus ganz anderen Berufen kamen, aber darin sehr leidenschaftlich waren.

junge bühne Du bist beruflich viel unterwegs. Reist du privat auch gerne?

Christian Friedel Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich viel mehr reisen, ich liebe es. Ich freue mich auch, weil wir mit dem „Sandmann“ auf Gastspielreise nach New York, Washington, Schanghai und in diverse andere Städte gehen. Ich liebe es aber auch als Musiker, von anderen Kulturen etwas mitzunehmen. Ich würde gerne mal eine Weltreise machen, nach der Schule wäre eigentlich die Gelegenheit gewesen, aber da steckte ich so verbissen in Regieprojekten.

junge bühne Welche Tipps würdest du Jugendlichen geben, die Schauspieler oder Sänger werden wollen?

Christian Friedel Wenn man das wirklich werden will, dann wird man das auch, davon bin ich überzeugt. Heutzutage gibt es durch die Bürgerbühnen und die Jugendclubs so viele Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Ich kann jedem nur sagen, ausprobieren, machen, sofort loslegen und daran glauben und dranbleiben. Ich habe mich siebenmal an Schauspielschulen beworben, und schließlich hat es geklappt. Man sollte querbeet schauen, jeder wird seine Schule finden. Viele Jugendliche haben nicht die Unterstützung von ihren Eltern, aber auch das kann einen dazu anspornen, sich von ihnen zu emanzipieren und eine eigenständige Künstlerpersönlichkeit zu werden. Wenn man aber nur Geld verdienen oder berühmt werden möchte, sind das keine guten Kriterien, um in die Kunst zu gehen, das sollte man wissen. Und man muss natürlich auch wissen, dass das Schauspielerleben ein Nomadenleben ist, man ist ständig in Bewegung und muss es auch bleiben. Und ganz wichtig: Man sollte nie etwas persönlich nehmen in diesem Beruf.

 

Dieses Interview ist in Heft Nr. 12 der jungen bühne erschienen.