Der Abend beginnt für Gabriele Jacobi um 17:15 Uhr. Um 18 Uhr fängt die Vorstellung „House of Karls“ im Theater Aachen an. Eine Dreiviertelstunde vor Aufführungsbeginn findet die Theaterinspizientin sich an ihrem Arbeitsplatz ein. Zwei Monitore mit Bühnenansicht, eine Reihe grüner und weißer Knöpfe an der Wand, ein Headset – und das I-Pult, das Pult der Inspizienz, ist komplett. Gabriele nimmt auf einem schwarzen Drehstuhl mit Goldmuster Platz, legt sich ihr Textbuch zurecht. Ein kleiner Plausch mit den Kolleg:innen, ein Schauspieler schiebt ihr zwei Schokoriegel zu.
„Bis halb sechs passiert hier nicht viel“, erzählt mir Gabriele mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. Die ist besonders wichtig, denn als Inspizientin muss sie den Überblick behalten. Bei jeder Aufführung übernimmt sie die Koordination, ist über das Headset mit der Licht-, Ton- und Bühnentechnik verbunden. 17:30 Uhr. Gabriele drückt einen der grünen Knöpfe, schaltet das Mikro am Headset an: „Einen wunderschönen guten Abend. Das erste Zeichen. Noch eine halbe Stunde bis zum Beginn der Vorstellung ‚House of Karls‘.“ „Der Hausruf“, erklärt sie mir den abgegriffenen Button, den sie eben gedrückt hat. „Wenn ich den drücke, hört das ganze Theaterhinterhaus meine Durchsage.“ Also alle mit Ausnahme des Foyers, in dem das Publikum auf den Beginn der Vorstellung wartet.
Das Tontechnikteam bekommt ein Zeichen, dass der Soundcheck beginnen kann. Die Schauspieler:innen testen ihre Mikros, machen sich für die Vorstellung warm. Um 17:45 Uhr wird ein satter Gong abgespielt, das Publikum darf nun in den Saal.
Technik, Türen, Vorhänge: Alles wartet auf die Ansagen der Inspizientin. Fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn prüft sie, ob alle Positionen besetzt sind. Technik, Bühne, Ton, Schauspieler:innen – alle müssen in den Startlöchern stehen. Vorhang auf, Licht an, Musik ab, das Stück beginnt. Viel Verantwortung. „Die ganze Vorstellung über muss ich voll konzentriert bleiben“, sagt Gabriele. Während die Schauspieler:innen auf der Bühne spielen, liest Gabriele hinter den Monitoren jede Zeile in ihrem Textbuch mit. Am Rand hat sie sich Notizen gemacht: Wörter wie Stimmung, Verfolger oder Drehscheibe stehen dort in Rot, Grün, Schwarz. „In Rot schreibe ich alle Anweisungen, die mit Licht zu tun haben“, erzählt Gabriele. Grün sind technische Anweisungen wie Einsätze der Drehscheibe, Schwarz steht für Tontechnik. „House of Karls“ koordiniert sie seit der dritten Probewoche – Gabriele kennt den Text in- und auswendig und weiß genau, wann welcher Einsatz kommt.
„Um dich herum kann Chaos ausbrechen, du musst trotzdem ruhig bleiben“, erzählt sie. Gabriele hat zuerst Hospitanzen am Theater gemacht, auch mal Kostüme entworfen. Als ein Inspizient erkrankte, ist sie eingesprungen – und fühlte sich gleich wohl in dieser Rolle. Seit der Spielzeit 1991/92 ist Gabriele Jacobi nun Inspizientin am Theater Aachen. Und kann sich keinen besseren Job vorstellen.
Inspizient:innen koordinieren den gesamten künstlerischen und technischen Ablauf einer Bühnenaufführung. Sie sind somit Bindeglied zwischen Kunst und Technik. Sie brauchen daher bühnentechnische Kenntnisse ebenso wie ein Verständnis der Arbeitsabläufe in einem Theater. Außerdem ist ein gewisses Maß an künstlerischem Feingefühl von Vorteil. Bislang gibt es in Deutschland keine formal geregelte Ausbildung für den Beruf des Inspizienten. Weitere Informationen findet ihr hier: https://www.inspizienten-netzwerk.de/
Dieser Artikel ist in der jungen bühne #18 erschienen.

Foto: privat
Johanna Demory hat Kommunikationswissenschaften an der RWTH Aachen studiert. Sie interessiert sich für Literatur und Poesie und liest mit großem Eifer Gedichte, Klassiker und Theaterstücke. Egal, wohin unterwegs, es müssen immer mindestens zwei Bücher mitkommen. Neben dem Studium arbeitete sie für die Aachener Zeitung, wo ihre ersten Theaterkritiken erschienen.