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Welcome to the job – Ein Schauspieler über seine erste Spielzeit am Theater

Jan-David Bürger hat in der Spielzeit 2022/23 sein erstes Theaterengagement angetreten. Für euch schaut er zurück auf das Jahr am Theater Pforzheim und erzählt, was es heißt, auf den Brettern zu stehen, die die Welt bedeuten.

Foto oben: privat
Beitrag von: am 01.11.2023

Es ist der fünfte September 2022. Die Sonne wird von wenigen Wolken verdeckt und ich stehe an der Pforte des Theaters Pforzheim. Es ist Spielzeitbeginn und mein erster Tag. Samstag hatte ich gerade noch in Duisburg gedreht. Jetzt habe ich lauter fremde, bemüht freundlich grinsende Menschen um mich herum, die auf mich zukommen und mir den Einstieg leicht machen wollen. Smalltalk. Ein Mann schaut mich verschmitzt an, stellt sich als Andreas C. Meyer vor: „Na, wie geht’s dir?“, fragt er. Ich: „Puh, etwas überfordert.“ Er: „Das wird sich legen.“ Ich: „Aber es sind ja alle ganz nett.“ Er: „Das wird sich auch legen“. Ich lache.

Anne-Kathrin Hönes, ebenfalls Schauspielerin im Ensemble, nimmt mich fröhlich an die Hand und zeigt mir den Weg zum Publikumsraum für die Eröffnungs-Gala. Alle sind nach Wochen das erste Mal wieder im Theater. Nur, dass ich vorher noch nie am Theater gearbeitet habe. Vor mir sehe ich die Bühne, auf der ich die kommenden Spielzeiten spielen werde. Sie wirkt einschüchternd groß, aber trotzdem überschaubar. Im Saal albern wir ein wenig herum. Es hilft mir, mit der Aufregung umzugehen.

„Die Neuen“ werden vorgestellt. Also werde ich auch nach vorne gerufen. Ich gehe jeden Schritt bewusst, in Gedanken „ich werde nicht stolpern, nein, das werde ich nicht“ zur Bühne, um dann Andreas Frane (Schauspieldirektor), Markus Hertel (Intendant) und Ulrike Brambeer (Chefdramaturgin) die Hand zu schütteln. Dann stelle ich mich geordnet in die Reihe der Neuen und versuche professionell zu lächeln.

Nachdem die Gala vorbei ist, geht es direkt zur Konzeptionsprobe für „Lippels Traum“. Ich spiele darin den elfjährigen Lippel. Der Proberaum fühlt sich vertraut an, auch wenn ich ihn noch nie vorher betreten habe. Die Texte und Lieder für dieses Kindermusical hatte ich schon vorher in Duisburg und Köln vorbereitet; gerade drehte ich nämlich in meiner ersten größeren Ensemble-Hauptrolle als Paul Breitner für die RTL+ Serie „Gute Freunde“. Hätte schlimmer laufen können direkt nach der Schauspielschule. Trotzdem kam ich mir manchmal sehr komisch vor, wie ich mit angeklebtem Bart, Perücke und auf hohen Schuhen  die Straße langlief und „In meinem Leseversteck träume ich mich schnell mal weg“ sang. Welcome to the job.

Vor dem Theater; © privat

Seitdem ist eine Spielzeit vergangen. Für die alten Hasen ist es eine weitere Spielzeit von vielen, für mich ist es die erste. Irgendwann werde ich mich auch sagen hören: „Ich gehöre zum Inventar.“ Bis dahin werde ich noch viel Bühnenerfahrung sammeln und mich weiterentwickeln.

Dass ich schon viel spielen durfte, ist unserem Schauspieldirektor Andreas Frane zu verdanken, der uns, so empfinde ich es, als Ensemble spürbar fördern will. Ich fühle mich da sehr unterstützt. Auch schätze ich seine Ehrlichkeit. Beim Vorsprechen habe ich gesagt: „Ich will ans Theater, um zu schauen, ob es wirklich so schlimm ist, wie alle sagen.“ Er antwortete: „Es ist wirklich so schlimm.“ Es ist nicht so schlimm. Ja, es gibt auch Herausforderungen. Aber am Ende bringt einen jede Erfahrung weiter, wenn man sich mit ihr entwickelt.

Eine davon ist der Moment, wenn ich den Probenraum betrete. Ich fühle mich zuhause. Ich könnte da wohnen. Die Kolleg:innen sind sehr hilfsbereit. Und es fühlt sich auch gut an, zu sagen, „Ich bin Schauspieler“. Es ist genau das, was ich wollte. Auch wenn es im Alltag mal nicht so läuft, wenn es mir nicht so gut geht und ich dann zur Probe gehe, dann kann ich mich nur auf die Rolle konzentrieren. Ich kann den Schmerz mit reinnehmen, oder kurz vergessen. Es ist wie eine Flucht, aber auch ein Ruhepol. Gleichzeitig gibt es mir die Intensität und das Abenteuer, das ich mir für mein Leben wünsche. Es ist vielleicht genau das für mich, was ich auch dem Publikum geben möchte: eine Flucht aus dem Alltag, ein Ruhepol voller Hoffnung, aber auch neue Impulse.

Vieles hat sich seit dem Anfang verändert. Die Freundlichkeit der Kolleg:innen hat sich zum Glück nicht gelegt, ist aber purer geworden. Der Humor wurde direkter, was ich deute mit: „Du gehörst dazu.“ Wenn ich jetzt auf der ersten Konzeptionsprobe sitze, bin ich nicht mehr so aufgeregt. Auf den Proben werde ich mutiger, mich auszuprobieren. Die Aufregung vor den Vorstellungen hat sich von bedrohlichen Raupen in wohltuende Schmetterlinge im Bauch transformiert.

Manches ist aber auch noch geblieben: Die Freude und Neugier darüber, was hinter der neu zu erlernenden Figur steckt. Das inspirierende Können erfahrener Kolleg:innen, von dem ich viel lerne. Das kindliche Herumalbern.

Wenn ich zurückblicke, könnte ich nicht sagen welche meine Lieblingsproduktion war. Jede Produktion war anders, jede hatte ihren eigenen Schwerpunkt. Beim Kindermusical „Lippels Traum“ habe ich die enthemmten Reaktionen der brodelnden Kindermeute geliebt, bei „Dinner für Spinner“ das endlose Lachen der Erwachsenen. In „Jugend ohne Gott“ genoss ich das viele Singen und die Musik und dass ich mit der Stimme neue Töne erlernen konnte. Im aktuellen Stück „Der Geizige“ inspirieren mich meine Kolleg:innen enorm. Es ist die erste Produktion mit „den Neuen“. Gerade stand ich da noch aufgeregt umringt von Fremden und jetzt stehen da schon die nächsten vor der Pforte umringt von Fremden, darunter mir.

Ich versuche, ihnen den Einstieg möglichst leicht zu machen. Sophia van den Berg, eine von ihnen, frage ich: „Na, wie geht’s dir?“, „Puh, etwas überfordert“, antwortet sie. „Das wird sich legen“, sage ich und zwinkere ihr zu. So schnell kann’s gehen.

Schon während der Schulzeit spielte Jan-David Bürger in Filmen mit, wodurch er u. a. mit Sönke Wortmann, Margarethe von Trotta und David Dietl zusammenarbeitete. 2022 schloss er sein Studium an der Theaterakademie August Everding in München ab. Seit September 2022 ist Jan-David Bürger festes Ensemble-Mitglied am Theater Pforzheim. In seiner ersten Spielzeit war er als Lippel in „Lippels Traum“ und N in der Musical-Uraufführung „Jugend ohne Gott“ zu sehen. In der Spielzeit 2023/24 spielt er u. a. Cléante in Molières „Der Geizige“. Außerdem ist Jan-David Ende 2023 auch im TV zu sehen: In der RTL+-Serie „Gute Freunde – Der Aufstieg des FC Bayern“ spielt er den jungen Paul Breitner. Für die junge bühne hat er verschiedene Videos unter dem Titel „JD unterwegs“ produziert, die ihr hier ansehen könnt:

https://www.die-junge-buehne.de/jd-unterwegs-text-vergessen/

https://www.die-junge-buehne.de/jd-unterwegs-ist-schauspiel-ungesund/

https://www.die-junge-buehne.de/jd-unterwegs-was-kann-theater-in-krisenzeiten-leisten/

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