Menschen bunte Totenschädel in die Höhe, dahinter Bühnennebel

Kritik

„Wir sind alle Hamlet“

Die Junge Akteur:innen-Produktion von „Hamlet“ nach Shakespeare in einer Fassung von Joanna Praml und Dorle Trachternach am Theater Bremen verbindet die Identitätskrise Hamlets mit der heutigen Adoleszenz im Deutschland des 21. Jahrhunderts. Wie kann ein Klassiker auf das Leben der heutigen Jugend bezogen werden?

Foto oben: Jörg Landsberg
Beitrag von: am 05.05.2025

In der postdramatisch anmutenden Produktion wird Hamlet als Coming-of-Age-Story inszeniert. Denn auf der Bühne stehen nicht nur die Shakespearschen Charaktere, sondern auch die jungen Schauspielenden selbst als Persönlichkeiten. Als Laiengruppe sollen sie eigentlich nur „Die Mausefalle“ spielen, ein Stück im Stück „Hamlet“, das Hamlet selbst am Hofe aufführen lässt, um wie im Original von Shakespeare den Mörder seines Vaters zu entlarven. Doch bei „der Mausefalle“ bleibt es nicht für die nervösen jungen Darstellenden, denn die „professionellen Schauspielenden“ tauchen – oh Schreck! – nicht auf.

Dieser selbstironische Rahmen der modernen Inszenierung schafft eine Atmosphäre, in der sich auch Menschen, die den Klassiker noch nicht kennen, auf das Stück einlassen können. Hamlet ist nicht nur ein Hamlet, ein bisschen Hamlet lässt sich in jedem und jeder auf der Bühne finden.

Hamlet als moderne und diverse Coming-of-Age-Story

Der Klassiker wird durch das Schauspiel der Agierenden – welche teils zuvor über keinerlei Bühnenerfahrung verfügten – nahbar. Wie Hamlet versuchen sie, ihren Platz in der sie überfordernden Welt zu finden. Dabei stehen individuelle Probleme und Wahrnehmungen exemplarisch für das aktuelle Weltgeschehen und die Sorgen und Nöte der jungen Generationen. Wenn zum Beispiel Rosa vom Geist von Hamlets Vater in ihrem Kopf erzählt, der nun mit ihr spricht, bis sie die Aufführung abgeschlossen haben werden, wird zugleich subtil das Thema Schizophrenie und der Umgang mit psychischen Krankheiten thematisiert. Auch die Grausamkeit der Welt, der zunehmende politische Rechtsruck und nationale Grenzen, an denen Schüsse fallen, werden thematisiert.

Hamlet, so wird auch im anschließenden Publikumsgespräch deutlich, hat seinen Platz in der Welt nicht finden können, die Jugendlichen suchen den ihren noch. An manchen Stellen bleiben die Doppelidentitäten (eigene Persönlichkeit und Shakespearscher Charakter) jedoch fragmentarisch. Das Publikum erhält viele Einblicke in das Leben der jungen Akteurinnen und Akteure, ohne sie wirklich kennenzulernen.

Videoelemente und Brechtscher Verfremdungseffekt

Die Inszenierung von Joanna Praml spielt mit modernen und klassischen Theaterelementen: Neben Videoelementen, in denen per Handy aufgezeichnete Großaufnahmen der sprechenden Gesichter der Darstellenden auf die Leinwand übertragen werden und große emotionale Nähe erzeugen, sorgt der Brechtsche Verfremdungseffekt in Form von simplen Pappschildern, die zeitlich das Geschehen in den Rahmen des Klassikers setzen („3.Akt“) oder einzelne Charaktere benennen, für Distanz. Dieses Zusammenspiel macht die Inszenierung lebendig, ebenso wie das oftmals eingesetzte, synchronische Sprechen im Chor.

Neben den Referenzen auf das aktuelle politische Weltgeschehen wird vor allem auch der Charakter der Ophelia modernisiert und feministisch interpretiert, was dem Stück mehr Tiefe verleiht. Ophelia landet zwar im Wasser, hier einem Wasserbecken, kann aber schwimmen und entflieht so den Männern, die ihr Leben bestimmen wollen. Auch die Liebe von Hamlet und Ophelia wird als Liebe zwischen zwei weiblichen Darstellenden inszeniert, ohne, dass dies zu gewollt modern wirkt.

Praml und Trachternach gelingt es in ihrer Version des Klassikers, Hamlet als modernes Adoleszenzstück nahbar zu machen. Dies wäre allerdings nicht ohne das leidenschaftliche Schauspielern der jungen Darstellenden möglich, die, so scheint es, alle ihren individuellen Bezug zu Hamlet gefunden haben. Im anschließenden Publikumsgespräch sagt dann auch eine Zuschauerin: „Ich habe mich auch wie Hamlet gefühlt“ und jemand anders bemerkt, dass wir doch alle ein bisschen Hamlet seien, die Möglichkeiten zu Liebe und Verrat in uns tragen. „Sein oder Nicht-Sein?“ – Ja oder Nein zum Leben sagen – dies ist am Ende die menschlichste aller Fragen.

 


Lisa Neumann © privat

Lisa Neumann, 1996 in Fritzlar (Nordhessen) geboren, hat Germanistik und Anglistik (Lehramt) in ihrer Wahlheimat Göttingen studiert. Sie liebt Literatur und Theater, schreibt selbst kreativ und liest fast alles, was sie in die Finger bekommt. Für verschiedene Texte wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Zu ihren Veröffentlichungen gehören Kurzgeschichten und -texte wie „Wir Spinner“, „Brausepulver“, „Er“ und „Kralle“. Sie lebt sie in der Nähe von Hannover, schreibt weiter und absolviert ein Volontariat in der Öffentlichkeitsarbeit.