Kritik

Ein Film aus Liebe zum Theater

„Ein (neues) Drama“ vom Labor I des Jungen Theater an der Ruhr
Die Filmpremiere fand am 9.9.2022 statt

Foto oben: Sarah Kranenpoot
Beitrag von: am 13.09.2022

Ein Film, der aus Liebe zum Theater entstanden ist. Schon in der Spielzeit 20/21 begannen Theaterpädagogin Sarah Kranenpoot und elf Mitglieder des Labor I des Jungen Theater an der Ruhr, sich per Zoom zu treffen. Dieser virtuelle Raum wurde der neue Ort des Austauschs, solange keine Proben mehr auf einer richtigen Bühne möglich waren. Was tun, wenn eine Pandemie dazwischen kommt? Aus einem Drama mach „Ein (neues) Drama“. Zehn Figuren aus zehn verschiedenen Theaterstücken kommen für ein neues Stück zusammen. Regisseurin Betty Brecht leitet das Experiment, streng und mit nie fehlender Kaffeetasse. Jeweils nur zu zweit dürfen die Schauspieler:innen gemeinsam proben. Emilia Galotti mit Leonce, Julia mit Ferdinand, Dornröschen mit Estragon, Claire Zachanassian mit Lysistrata und Möbius mit Hamlet.

Die Figuren sind nicht so richtig begeistert von der Idee. Sie zanken und hinterfragen ihre eigenen Rollen mit schönen Gags aus den Stückvorlagen: Estragon will einfach nur auf Godot warten. Schneewittchen meint, da würde das Publikum einschlafen. Und mit Einschlafen kenne sie sich aus. Julia und Ferdinand simulieren ständig mit einem Trank ihren Tod. Statt in Lena verliebt sich Leonce in Emilia. Die alte Dame Claire Zachanassian muss sich von Lysistrata eine Moralpredigt anhören. Und die Rahmenhandlung leitet Hamlet. Ganz zu Beginn wird ihm von Bettys Stimme aus dem Off eingeflüstert, die Weltformel von Möbius zu stibitzen, mit der die Menschheit vernichtet werden kann. Doch anstatt mit Betty verschwört sich Hamlet mit Möbius und den Anderen. Gemeinsam wollen sie die Formel retten.

Einfache, feine Slapstick-Tricks machen den Film sehr unterhaltsam. Eine Requisitenkiste rollt wie von alleine durch die Gänge des Theaters, fährt mit dem Aufzug zur Bühne, und nacheinander steigen die Schauspieler:innen heraus, wo doch eigentlich gar nicht so viel Platz für alle in der Kiste ist. Dank des Formats bekommt man im Publikum auch Orte hinter der Bühne zu sehen. Auch eine Szene draußen im Wald gibt es. Dort ist die Truhe mit der Weltformel vergraben, die Möbius, von Betty gezwungen, ausgraben muss. Doch im richtigen Moment kommen die anderen dazu, alle können schließlich mit einem viel zu kleinen Auto, in das doch alle wieder irgendwie reinpassen, fliehen.

Die Klischeeeigenschaften der Rollen werden hervorgeholt und überspitzt. Übertriebene Nahaufnahmen verstärken die Gefühlslagen der Figuren. Der schönste Spaß kommt von den Schauspieler:innen selber, die fast alle bei der Filmpremiere in der ersten Reihe sitzen. Sie haben aus der „Home-Proben“-Situation das Beste gemacht. Sie haben ein neues Schauspielformat vor der Kamera gemeistert und sind zu Drehbuchautor:innen geworden. Die Realitätsbezüge erinnern mich im Publikum an meine eigene Sehnsucht nach einem Miteinander, die ich während der Kontaktbeschränkungen hatte. „Ein (neues) Drama“ hat gezeigt, wie wichtig Gemeinschaft ist und dass Theater gerade in bedrückenden Situationen hilft!

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