Kritik

„Nach Peer Gynt“ am Theater Koblenz

Zwischen Zweifel und Hoffnung, zwischen neuem Hochglanzsofa und altem Holzbett, zwischen Nähe und Distanz bewegt sich ‚Nach Peer Gynt‘, geschrieben von Deborah Kötting für das Theater Koblenz, in der Inszenierung von Markus Dietze.

Foto oben: Matthias Baus für das Theater Koblenz
Beitrag von: am 05.06.2024

Nach Peer Gynt“ am Theater Koblenz behandelt Motive aus Ibsens „Peer Gynt“, verschiebt den Marker auf dem Zeitstrahl auf das Danach, setzt an zum Neubeginn. Streicht den Protagonisten rigoros, und rückt stattdessen die Figuren in den Fokus, die unter Peer Gynts Lügen gelitten haben – in einer szenischen Abfolge von Einzelschicksalen derer, die nach Peer Gynt an ihren persönlichen Abgründen stehen. Die Besonderheit: Auf der Bühne stehen Puppen- und Schauspieler:innen im gleichen Verhältnis.

Jüngst habe ich im Artikel ‚Übergänge lieben lernen‘ reflektiert, wie ich die Schwelle zwischen Hochschule und Beruf erlebe. Drei meiner Mitstudierenden, Sophia Walther, Annika Schaper und Tizian Steffen, eben noch Kommiliton:innen, nun Kolleg:innen, sind Teil der Inszenierung, deren Besetzung sich nach folgender Formel ergibt:  Zehn lebensgroße Puppen, gespielt von zehn Puppenspieler:innen, und zehn Schauspieler:innen.

Anlass, eine Frage zu stellen, die uns während des Studiums und darüber hinaus beschäftigt: Wie kann sich unter den Darstellenden Sparten eine Beziehung auf Augenhöhe gestalten? Wie können sie im künstlerischen Schaffen miteinander agieren, statt nebeneinander zu existieren?

Mit dieser Frage gehe ich ins Stück. Hier gibt es jede Figur zweimal, die Puppen sind Double der menschlichen Figuren. Mal verbildlicht die Puppenebene bereits Erlebtes, mal liefert sie die Was-Wäre-Wenn-Variante einer Handlung, oder die ausgelagerte Sinnesebene der menschlichen Körper. Beinahe könnte man die lebensgroßen Puppen als Einzelteile von Peer Gynts feinstofflichem Körper lesen, sein Einfluss auf ihr Leben, zu Material geworden.

Auf die Ferne beinahe identisch (Puppenbau: Ulrike Langenbein), kann das Auge stellenweise nicht mehr einordnen, wer das lebendige, wer das verlebendigte Wesen ist. Dieser Einladung, Kontrolle abzugeben, folgt man gerne. So geschieht ein Antasten von Puppe und Mensch, in dem die Augenhöhe keimen kann. Auch indem sie ihren Blick ins Publikum, den Raum, und irgendwie unser aller Leben richten.

Die Double-Paare interagieren choreografisch, spiegeln Bewegungen nebeneinander – so verschwimmt, wer gerade Homo Sapiens, wer Homo Faber ist. Raum für Augenhöhe gibt es also, es verbleibt aber auch ein großer Spielraum, dieses Potenzial rigoros auszuloten. Keine konfliktreiche Auseinandersetzung gibt es zwischen Puppe und Mensch, in der sich das Material erhebt. Dabei sind die Gelegenheiten da, um dem Prinzip der Dopplung in dieser Konstellation weiter auf die Spur zu gehen.

Eines der Bilder, in dem den Puppen in ihrer Fähigkeit zu handeln Vertrauen geschenkt wird, ist der Moment, als sie ihre menschlichen Doubles in eingefrorenen Posen zielgerichtet und eindringlich mustern. Die Puppen sind es, die im übertragenen wie spielerischen Sinn den Spiegel bieten; für die Figuren mit ihren Biografien. Sie stellen die Fragen zu den blinden Punkten an jenen Stellen, die im eigenen Leben auf dem Stapel ‚zu beantworten‘ liegen bleiben, bis wir der Dringlichkeit stattgeben, bevor sie schmerzhaft wird.

Dass wir am Ende des Tages alle im selben Boot sitzen, nimmt die Inszenierung wörtlich; mit das stärkste Bild entsteht, als die zehn Puppenspieler:innen die Figuren in ein Schiff vom Typ Plätte begleiten und den Puppen sinnbildlich das Steuer überlassen. Ein bewegendes Tableau, von dem man sich wünscht, es würde länger anhalten, sodass sich an-erzählte Geschichten beim Betrachten weiter entspinnen können.

Auserzählt wird im fragmentären Lebenslauf-Skippen der Figuren nichts – bruchstückhafte, bühnengewordene Alltäglichkeit. Spannend ist schließlich, was zwischen den großen Klammern des Lebens, Geburt und Tod, passiert, so lange es passiert. Zehn zu zehn zu zehn könnte künftig weiterhin eine Formel sein, um die beiden Sparten auf Augenhöhe zu setzen, schließlich suchen wir nach ihr im Theater wie im echten Leben.

____________

Leah Wewoda wurde 1998 im Landkreis Heilbronn geboren. Derzeit studiert sie Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, sowie als Gaststudentin in Charleville-Mézières, Frankreich, an der École Supérieure Nationale des Arts de la Marionnette. Ausgehend vom Studienaufenthalt in Frankreich, ist es ihr Anliegen, Elemente der französischen und der deutschen Theaterwelt zusammenfließen zu lassen. Dabei interessiert sie die Zusammenkunft verschiedener Sparten, hierin liegt für sie das Potenzial des künstlerischen Bühnenschaffens.

Foto: Laura de Angelis