Ein Plattenbau, der spricht, die Geschichten seiner Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur geprägt, sondern geschluckt hat. Das Ihme-Zentrum, ein „sozialer Brennpunkt“ in Hannover, dominiert in „Betonklotz“ alles. Als rosafarbener Klotz in Modulbauweise steht es auf der Bühne, spricht sogar, wird personifiziert, wenn es immer wieder heißt: „Der Betonklotz schweigt.“ Das Leben in ihm ist wahrlich kein angenehmes, aber eines, das menschlich ist, eine Realität in Armut, die gesellschaftlich entweder skeptisch beäugt, als „Ghetto“ angesehen oder einfach ignoriert wird. Die Wut über die Ignoranz der Mehrheitsgesellschaft kommt in Jona Rauschs erstem Stück immer wieder zum Vorschein, wenn die vier Jugendlichen (gekonnt gespielt von Aniela Ebel, Alrun Hofert, Max Koch und Tom Scherer), die im „Klotz“ aufwachsen, aus ihrem Leben erzählen. Da sind die beiden Schwestern, die sich beide für ihre Mutter schämen, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Eine klaut, eine besucht das Gymnasium, will ihre Klasse hinter sich lassen und studieren und kann sich doch nicht von ihrer Vergangenheit im Klotz lösen.
Im Lachen brechen die Muster auf
Rauschs Stück erzählt keine stringente Geschichte, vielmehr ist es eine Montage aus unterschiedlichen Szenen, die das Leben im „Betonklotz“ veranschaulichen und gesellschaftliche Vorurteile kritisieren. Das gelingt mal gut, mal etwas weniger. In den starken Szenen, wenn die Schwestern sprechen oder die Medienberichterstattung über den „Klotz“ und seine Bewohner persifliert wird (schön mit der Kamera draufhalten, das Individuum in die Enge treiben und Hauptsache, man fängt die „Elendsgeschichte“ ein), gelingt es, die gesellschaftlichen Muster, mit denen im reichen Deutschland über Klassismus und Armut gesprochen wird, aufzubrechen und zu hinterfragen. Vor allem manche der komödiantischen Einlagen überzeugen dabei: „Was ist cool, wenn du reich, aber nicht, wenn du arm bist?“, fragt einer der Jugendlichen im überdrehten Ton. Einige der Antworten: „Koksen, Drogen generell, am Pool sitzen, Steuerhinterziehung.“ Das Publikum lacht, ein Lachen, das jedoch beinah im Hals stecken bleibt.
Zwischen Nutellabrot und Realität
Immer wieder thematisieren die Jugendlichen die Sehnsucht nach einem besseren Leben, wollen sich beim Feiern im Club und Tanzen zur Techno-Musik vergessen, rauskommen aus dem Klotz, der ihr Leben und wie sie von anderen wahrgenommen werden, bestimmt. Der Zusammenhalt unter ihnen berührt: Die „Gang“ wird greifbar, emotionale Nähe verbindet, erst recht das „Wir gegen die reiche Welt dort draußen“. Manchmal gelingt es dem Stück allerdings nicht, die Stereotype von Armut, die es brechen will, nicht selbst ungewollt zu reproduzieren, zum Beispiel, wenn die „Tischetikette“ bei einer Akademiker-Familie einer engen Freundin von einer der Schwestern thematisiert wird – oder die Brotbox der Kinder aus dem Block, in der sich nur ein ungesundes Nutellabrot und kein Obst befindet. Das wirkt etwas plakativ und verkennt die Realität, in der solche Klischees eben nicht immer bewahrheitet werden.
„Betonklotz“ spielt mit verschiedenen Elementen: Musik- und Tanzeinlagen, Gesang und Monologe. In den starken Szenen der Montage glaubt man den Jugendlichen in ihren Jogginghosen und übergroßen Regenmänteln, befindet sich mit ihnen in ihrem Leben. Armut, so wird deutlich, sollte kein Ausschlusskriterium sein, das gesellschaftliche Teilhabe verhindert. Doch genau dies ist in Deutschland im 21. Jahrhundert immer noch der Fall.
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Lisa Neumann, 1996 in Fritzlar (Nordhessen) geboren, hat Germanistik und Anglistik (Lehramt) in ihrer Wahlheimat Göttingen studiert. Sie liebt Literatur und Theater, schreibt selbst kreativ und liest fast alles, was sie in die Finger bekommt. Für verschiedene Texte wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Zu ihren Veröffentlichungen gehören Kurzgeschichten und -texte wie „Wir Spinner“, „Brausepulver“, „Er“ und „Kralle“. Sie lebt sie in der Nähe von Hannover, schreibt weiter und absolviert ein Volontariat in der Öffentlichkeitsarbeit.