Martin Weigel, Maren Solty, Elias Schrischke

Thema

„Gemeinsam eine Perlenschnur an Gedanken auffädeln“

Die Schauspieler:innen Elias Krischke, Maren Solty und Martin Weigel sind im Ensemble der Münchner Kammerspiele. In dieser Spielzeit leiten sie gemeinsam einen Jugendclub mit 15 Teilnehmer:innen zwischen 16 und 22 Jahren. Eine Erfahrung, die sie herausfordert – und von der sie auch selbst auf der Bühne profitieren.

Foto oben: Martin Weigel, Maren Solty, Elias Krischke. Foto: Sigrid Reinichs
Beitrag von: am 20.06.2025

Wart ihr selbst im Jugendclub, als ihr noch keine Profi-Schauspieler:innen wart? 

Maren Ich war tatsächlich nie in einem Jugendclub. Ich komme aus einer kleinen Stadt, wo es gar kein Theater gab. Meine erste Berührung mit dem Schauspiel war die Theater-AG in meiner Schule. Wenn ich als Kind in einem Jugendclub gewesen wäre, wäre mein Weg zum Theater vielleicht ein bisschen schneller gewesen.

Elias Ich war Kinderdarsteller in der Oper in Hildesheim, seit ich fünf Jahre alt war. Später habe ich über eine Freundin vom Jugendclub erfahren und bin mitgegangen. Und da war plötzlich so eine Energie: „Wir reißen die Welt ein, wir machen eh den geilsten Scheiß.“ Das war so wild und eine Art von Leben, nach dem ich mich gesehnt hatte.

Martin Ich bin auf dem Land aufgewachsen, da gab es so eine Struktur nicht. Aber an meiner Schule gab es eine Theater-AG. Da habe ich relativ spät angefangen, so in der 11. Klasse. Und das war wahnsinnig toll, weil alle total engagiert waren.

Woher kam der Gedanke, jetzt zusammen einen Jugendclub zu leiten?

Elias Die Tradition, aus dem Ensemble heraus Jugendclubs zu machen, gibt es hier schon länger. Aber in den letzten Jahren ist das ein bisschen in den Hintergrund geraten.

Maren Die meisten Jugendclubs am Haus sind von den Jugendlichen selbst organisiert. Als diese Idee nun wieder aufkam, hat es sich irgendwie angeboten, dass wir das machen. Wir machen auch zu dritt die Ensemble-Vertretung und sind schon so ein kleines eingeschweißtes Team.

Was war euer Plan?

Elias Das war Learning by Doing. Unsere theaterpädagogischen Erfahrungen halten sich ja relativ in Grenzen. Wir hatten uns lauter strenge Regeln ausgedacht – und haben keine einzige eingehalten. Am Ende war es so, dass alle, die bleiben wollten, dabei waren.

Martin Und wir fanden es auch irgendwie doof, jemanden wegzuschicken, der Lust hat zu kommen. Am Anfang waren ungefähr 25 Leute da, geblieben sind ungefähr 15. Das ist eine gute Größe. Da kann jede:r was Schönes machen.

Euer Stück heißt „Der Rest, der bleibt“ und setzt sich mit der „Odyssee“ von Homer auseinander. Wie seid ihr auf diesen Stoff gekommen?

Elias Die Idee mit der „Odyssee“ kam von den Jugendlichen. Wir haben am Anfang gefragt, auf was für Stücke sie Lust hätten. Da kam viel Antikes, und irgendjemand hat die „Odyssee“ vorgeschlagen.

Martin Ich fand die Idee toll, so einen antiken Klopper zu machen. Da kommen ganz von alleine so viele Assoziationen.

Elias Was so ein Jugendclub halt besser kann als jedes professionelle Ensemble, ist, eine revolutionäre und aufständische Gruppenenergie zu generieren. Das hat einfach einen anderen Wumms. Und dafür ist dieser Text eine gute Fläche.

Der Jugendclub bei der Probe. Foto: Sarah Erhard

Die „Odyssee“ von Homer hat über 400 Seiten. Wie habt ihr euch diesen Textmassen genähert?

Elias Wir haben erstmal in der Gruppe dazu assoziiert und ein bisschen rumschlawinert.

Martin Das ist ein Prozess. Wir sammeln Texte und improvisieren. Ich finde es schön, sich an dieser ältesten Erzählung abarbeiten, um am Ende etwas über uns zu erzählen.

Maren Wir haben uns dem Thema sehr frei genähert und gefragt, was deren Themen sind. Zum Teil haben die Teilnehmer:innen auch zuhause Texte geschrieben und mitgebracht.

Martin Da kamen dann so Fragen auf nach der nachwachsenden Generation. Was wollen die? Was ist deren Zukunft?

Was hat euch überrascht in der Zusammenarbeit?

Elias Eigentlich alles. Erstmal gehe ich jeden Donnerstag hin und denke, wir werden das niemals schaffen, ich hab gar keine Energie und da wird niemals ein Stück draus. Und dann machen wir zwei Stunden Probe, und es ist klar: Wir schaffen alles.

Martin Wenn ich überlege, wie ich in dem Alter unterwegs war, finde ich interessant, was sich da verändert hat. Da ist auch bei den männlich gelesenen Spieler:innen ein starkes Bewusstsein dafür, dass wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben. Und dass sie das nicht gut finden. Sie wollen eine andere Form von Zusammenleben.

Elias Einmal haben wir uns gefragt, ob eine Gesellschaft Held:innen braucht. Ich war überzeugt, dass wir überhaupt keine brauchen, dass die Gesellschaft viel toller ist ohne Held:innen. Und dann haben aber einfach alle gesagt: „Nee, wir wollen definitiv Held:innen. Ohne geht es nicht.“

Maren Wir haben mal eine Übung gemacht: Man sagt den Namen einer Person, und die macht eine Minute das, was ihr zu dem Titel „One minute of love“ einfällt. Mal haben sich alle an den Händen gehalten. Mal ist jemand zu jedem hingegangen und hat gesagt: „Du bist schön.“ Lauter solche Kleinigkeiten. Das hat mich sehr berührt. Überhaupt diese Momente, in denen man einfach spielerisch zusammen kommt und sich gegenseitig unterstützt. Das mochte ich auch im Studium so gerne.

Der Jugendclub von „Der Rest, der bleibt“. Foto: Hana Reintges

Gibt euch diese Arbeit auch so etwas wie Hoffnung?

Maren Auch wenn das natürlich alles Menschen sind, die schon vorher Kontakt zum Theater hatten: Da öffnen sich Räume, in denen Begegnungen möglich sind, und das gibt mir schon Hoffnung.

Martin Man kommt auf eine andere Art zusammen und erlebt etwas zusammen. Das gefällt mir sehr. Der Versuch, sich eine andere Gesellschaft vorzustellen, ist immer gut. Und es ist wichtig, dafür Zeit und Raum und Schutz zu haben. Weil es selbstermächtigend ist.

Elias Da entsteht so eine Kraft und etwas Verbindendes. Da geben Leute etwas von sich preis, und wir fädeln gemeinsam eine Perlenschnur an Gedanken auf. Das ist sehr wahrhaftig und menschlich. Und das macht mir Hoffnung und beglückt mich sehr.

Profitiert ihr in eurer Arbeit als Schauspieler:innen von dem, was ihr erlebt im Jugendclub? 

Elias Ich erinnere mich plötzlich an so viele Dinge. Was bedeutet Begegnung auf der Bühne? Was ist das Wesentliche? Und was ist der ganze Quatsch, den man macht, den man aber möglichst weglassen sollte? Man fällt schnell in die Falle, auf der Bühne Dinge zu machen, die irgendwie gut geklappt haben in der Vergangenheit. Man wiederholt, was gut angekommen ist, auch wenn das nichts mit der Situation oder dem Gegenüber zu tun hat. Das alles wegzunehmen und die Dinge wieder aus dem Nichts entstehen zu lassen, das lerne ich im Jugendclub.

Maren Ich konnte auf einmal mitfühlen, wie es ist, unsicher zu sein und überfordert. Von außen sehe ich dann, was es braucht, um die Situation zu lösen. Manchmal braucht man diese Sicht von außen, eine andere Perspektive, um den Struggle zu sehen und zu merken: Es ist okay, in einem Moment auch mal nicht weiterzukommen und zu scheitern. Das hat mich mich wirklich weitergebracht.

Martin Ich freue mich immer, wenn sich das, was mir Spaß macht, überträgt. Wenn ein junger Mensch merkt, okay, ich bin genug, ich muss gar nicht mehr sein und ich kann schon jetzt ganz viel tun, ohne das studiert zu haben oder so. Ich habe einen Körper, es gibt einen Raum, es gibt Stimme, es gibt Musik, es gibt Bewegung. Es gibt so viel. – In den Proben gibt es immer wieder so Momente, wo man merkt, es hat klick gemacht. Das macht wahnsinnig viel Freude.

Schauen die Teilnehmer:innen sich auch eure Produktionen an? Und geben sie euch Rückmeldungen?

Elias Sie können sich alles anschauen, bekommen Freikarten, sitzen in der Kantine und werden im Haus behandelt wie alle anderen auch.

Maren Einmal hatten wir eine richtige Diskussion über das Stück „Very Rich Angels“.

Elias Da spiele ich Mark Zuckerberg, der sich als Messias fühlen will und sich an ein LED-Kreuz hängt. Ich habe da so eine kleine erotische Performance an diesem Kreuz. Und in dieser Vorstellung habe ich das Kreuz mit der Zunge abgeleckt. Es gab eine Gruppe, die das extrem daneben und blasphemisch fand. Die waren richtig wütend. Das war eine hitzige Auseinandersetzung.

Martin Das war interessant, was das ausgelöst hat: eine Debatte über Religion und darüber, was man auf der Bühne machen darf und wo Grenzen sind. Wenn so ein Thema ansteht, nehmen wir uns die Zeit für Diskussionen.

Elias Wenn die was wissen wollen, dann fragen sie. Das beeindruckt mich total. Die sind krass mutig. Viel mutiger, als ich das war. Oder bin vielleicht.

Ein letzter Satz?

Elias Geht in den Jugendclub. Das ist der coolste Ort.

v.l.n.r. Martin Weigel, Elias Krischke, Anne Fritsch, Maren Solty. Foto: privat