„Lee Miller in Hitler's Bathtub“, NEST Wien

Kritik

It was an Accident

Die Uraufführung von „Lee Miller in Hitler’s Bathtub“ fragt nach der Bedeutung der berühmten Abbildung Lee Millers in Hitlers Badewanne nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945. Die Inszenierung von Jan Lauwers geht über die Figur Millers als Fotografin hinaus und setzt sich mit Musendasein und Kriegstrauma auseinander.

Foto oben: Vibe Stalpaert
Beitrag von: am 02.06.2025

„Lee Miller in Hitler’s Bathtub“ ist keine biografische Oper über das US-amerikanische Supermodel, die Fotografin oder Künstlerin Lee Miller. Librettist und Regisseur Jan Lauwers fragt danach, was das außergewöhnliche Foto von Miller in Hitlers Badewanne – dies möge auch als grotesk wahrgenommen werden – bedeutet. Aufgenommen wurde das Bild kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges von David E. Scherman, mit dem Miller als Kriegsberichterstatterin unterwegs war.

Die Uraufführung am NEST Wien ist eine Genremischung, die eine doppelt gespielte Hauptfigur Lee Miller zeigt – dargestellt durch Mezzosopranistin Kate Lindsey und durch Schauspielerin Romy Louise Lauwers. Die Musikbesetzung aus Klavier, Kontrafagott, Posaune, Cello und Schlagzeug sowie musikalisch divergierender Violine wirkt kammeropernähnlich.

Doppelbesetzung

Ganz allein leitet George Van Dam mit der Violine ein: er spielt beklemmende, manchmal kaum hörbare Töne, während er neben einer schmelzenden Eisskulptur in Form eines Kindes und vor Hitlers grün verfließtem Badezimmer steht. Romy Louise Lauwers stellt Lee Miller als Sprechfigur dar, Kate Lindsey verleiht derselben Figur musikalisch feinfühlige Tiefe.

„Lee Miller in Hitler's Bathtub“, NEST Wien „Lee Miller in Hitler's Bathtub“, NEST Wien. Foto: Vibe Stalpaert

Dies gelingt durch die von Maarten Seghers komponierten Arien, die den unaushaltbaren Schmerz der Hauptfigur hörbar machen. Regisseur Lauwers webt seine Inszenierung um zwei traumatische Ereignisse in Millers Leben: Ihre Vergewaltigung im Alter von sieben Jahren und der Moment kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem das Foto in Hitlers Badewanne entstand. Zwischen beiden Zeitebenen wird immer wieder fliegend gewechselt, wobei die Bedeutungen vom Menschen als Monster und der Erfahrung miteinander verschmelzen.

Die Inszenierung wächst über die Darstellung von Millers Leben hinaus und porträtiert allumfassend das Dasein als Muse. Miller war beispielsweise Model Pablo Picassos oder Man Rays. Aber es wird auch der allgegenwärtige male gaze auf die Frau eingefangen, die kontinuierlich objektifiziert und in ihrem Künstlerinnendasein entwertet wird. Die Miller-Figur verweist wiederholt darauf, es wäre ein „accident“ gewesen, dass sie eine Frau geworden sei.Das Kostüm unterstreicht spezifisch Millers Genderfrage: mit einer fortwährend im Abendkleid performenden Protagonistin, während die zweite Miller ein militärisches Gewand oder Unterwäsche der US Army trägt.

Gewalt, Liebe und Tod

Gewalt als Motiv in der Fotografie lernte Lee Miller von klein auf kennen: Ihr Vater fotagrfierte sie, wissend von ihrer Vergewaltigung, als Kind nackt im Schnee fotografiert und wartete dabei unerbittlich auf das perfekte Licht. Schließlich schoss sie selbst schreckliche Bilder: Selbstmordopfer, die sie noch hier und da herrichtete. Im befreiten Konzentrationslager von Dachau konnte sie nichts mehr arrangieren, den Geruch von Massenverwesung konnte sie nicht fotografieren.

Der Versuch der Inszenierung, ein Porträt einer verzweifelt ruhelosen Künstlerin im Kampf mit Traumata zu schaffen, gelingt nicht erst, wenn Kate Lindsey den Kopf der Kindes-Eisskulptur zerschmettert. Auch das Bärenmotiv trägt dazu bei, wobei die Musiker:innen gleich von Beginn an mit Bärenpelzen kostümiert. Dies wird zwischendurch aufgegriffen, aber besonders in der Endszene liegt das Motiv schwer in der Luft: Im Bärenpelz macht Romy Louise Lauwers Winterschlaf, wird immer wieder geweckt, da Menschen sie tanzen sehen wollen. Sie wecken den Bären also mit Gewalt auf – und sie tanz und tanzt. Bis in einer herzzerreissenden Finalarie Kate Lindsey den Bären in den Arm nimmt. Da wird klar: Das in ihren Armen ist sie selbst.

 

Mohme_Lucie

Foto: privat

Lucie Mohme studierte Englischen Philologie und Philosophie in Göttingen. Seit 2023 ist sie freie Mitarbeiterin und Autorin bei der DEUTSCHEN BÜHNE und schreibt für das Wiener Kulturmagazin Bohema. Derzeit studiert sie an der Universität Wien Anglophone Literatures and Cultures im Master mit dem Schwerpunkt Gender und irisches Theater.