Kritik

„#Motherfuckinghood“ am Berliner Ensemble

Die Regisseurin Jorinde Dröse inszeniert am Berliner Ensemble einen Abend mit Texten von Antonia Baum, Mareike Fallwickl, Emilia Roig und anderen. „#Motherfuckinghood“ ist eine intensive und zugleich unterhaltsame Auseinandersetzung mit dem Mutterwerden und Muttersein und allem, was damit einhergeht. Peinlichkeiten, Schmerz, Überforderung und Ungerechtigkeit inklusive.

Foto oben: Matthias Horn
Beitrag von: am 02.02.2024

„Das bisschen Haushalt, ist doch kein Problem, sagt mein Mann“, hat Johanna von Koczian einmal gesungen. Schon in einem Land vor unserer Zeit, 1977, war das die ironische Persiflage eines Rollenbilds aus den 1950er Jahren. Als die Welt vermeintlich noch in Ordnung war, Feminismus ein Fremdwort, die Frau ihre Erfüllung als Hausfrau und Mutter fand (oder zu suchen hatte), während der Mann das Geld heranschaffte. „Er muss zur Firma geh’n tagein tagaus, sagt mein Mann“, heißt es weiter in jenem Lied, „die Frau Gemahlin ruht sich aus zuhaus“. Wer das Lied heute hört, kann darüber nur lachen. Wir sind doch viel weiter, dieses Frauen- und Mutterbild hat mit uns doch längst nichts mehr zu tun. – Oder? Die Regisseurin Jorinde Dröse beschäftigt sich in „#Motherfuckinghood“ am Berliner Ensemble jetzt mit eben dieser Frage.

Gemeinsam mit der Schauspielerin Claude De Demo hat sie eine Collage aus Texten von Antonia Baum, Mareike Fallwickl, Emilia Roig und anderen zusammengestellt, die alle um das Thema Mutterschaft und Care-Arbeit kreisen. De Demo schlüpft von einer Rolle in die andere und bleibt doch immer: eine Frau in den Mühlen der Gesellschaft, überfordert, hie und da am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die Bühne im Neuen Haus des Berliner Ensembles ist leer bis auf einen pinken Flauschteppich, auf dem ein Paar High Heels auf ihren Einsatz warten – oder übrig geblieben sind aus einer Zeit davor. Einer Zeit vor der Schwangerschaft, vor Wehen, Stillbrüsten und dauerbrüllenden Kindern.

Keine männermordenden Hyänen

Claude De Demo betritt den Raum. Sie wirkt fahrig, leicht abwesend. Auf ihrem Mantel, ihrer Kleidung nicht näher definierte Spuren von irgendeiner beigen Substanz (Matsch? Brei? Kotze?). Sie startet mit der Standardsituation, dem alltäglichen Supergau arbeitender Mütter: Sie will arbeiten, das Telefon klingelt, daheim ist Katastrophe. Wen rufen Kinder, Babysitter:innen, Kitas oder Schulen an? Die Mutter. Immer. Nie den Vater. De Demo wendet sich ans Publikum, legt los. Warum wissen alle, dass eine Schwangerschaft Dehnungsstreifen macht, aber kaum jemand, dass sie das Gehirn verändert? Warum ist der Körper einer Frau so viel präsenter als ihr wichtigstes und komplexestes Organ?

Vom ersten Moment an ist klar: Das hier ist ein Abend der Frauen, ein feministischer Abend, ein empowernder oder zumindest einer, der das Gemeinsame betont und zur Verschwesterung aufruft. Sind auch Männer da?, erkundigt sich De Demo. Keine Sorge. „Es werden keine männermordenden Hyänen auftreten und mit Scheiße werfen“, beruhigt sie die Herren im Publikum. „Heute nicht.“ Sie zieht sich um, verwandelt sich von einer Frau in die andere und zählt auf, welche Arten von Mütter es gibt: Rabenmutter, Psychomutter, Helikoptermutter, böse Stiefmutter, Schneeflugmutter, böse Schwiegermutter, Übermutter, MILF. Alles mies? Was ist mit der „guten Mutter“? Die hat leider Hitler für sich vereinnahmt. Die ideale Mutter? Der sieht man ihr Muttersein weder an noch spricht sie darüber.

Mit 16,5% gegen die Überlastung?

Jorinde Dröse gelingt es, ein sensibles und schwieriges Thema in einen 75-Minuten-Abend zu packen, der dem Schmerz und der Not mit viel Witz und Feingefühl begegnet, die bitter nötige Kritik übt und doch nie verbittert wird. Ein starker Abend. Mal schiebt sie einen Werbefilm aus den 1950er Jahren ein, der erschöpften Hausfrauen und Müttern einen Schluck „Frauengold“ empfahl, wenn ihr alles zu viel wurde, wenn sie nervös war und sich „nicht mehr so hübsch wie damals“ fühlte. Einfach einen hinter die Binde kippen, sich die Welt und sich selbst schön trinken. Wie schade, dass dieser Wundertrunk mit 16,5 % Alkohol 1981 verboten wurde, weil er krebsfördernd und nierenschädigend war.

Alkohol ist also nicht die Lösung – was dann? Die eine Lösung kennt dieser Abend nicht, das wäre auch zu viel verlangt. Er wirft aber mit viel Humor Fakten zu Phänomenen wie „Paternal Underperformance“ (der „absichtlich schlechten Performance von Vätern, damit sie die Care-Arbeit nicht machen müssen“) oder „Life-Earning-Gap“ („der finanzielle Unterschied der Lebenseinkünfte zwischen Mann und Frau“) in den Raum, über die wir alle als Gesellschaft nachdenken sollten. De Demo geht durch alle Gefühlszustände rund um das nicht eben unemotionale Thema Frau- und Muttersein. Von Verzweiflung bis Euphorie, von Todesangst bis Glückseligkeit ist alles dabei. Alles, nur eben nicht die eine Lösung. Die hat selbst die per Video zugeschaltete Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, nicht.

Sicher ist aber: Es geht nur im Großen. Nur strukturell ist ein Zustand zu erreichen, in dem „das bisschen Haushalt“ und der ganze Rest sich wirklich von alleine machen, nämlich: gemeinsam. Und in dem Frau keine Superkräfte bräuchte, um Kinder und Karriere stemmen zu können. Die Mutter allen Übels nämlich ist – surprise, surprise – die patriarchale Gesellschaft.

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