Eine Bühne mit rotem Vorhang, darauf eine Projektion verschiedener Jugendlicher im Clownskosütm

Kritik

Clowns im Gesellschaftssystem

Eine Gruppe von Clowns macht in Sebastian Nüblings Inszenierung „Ode an die gewaltbereite Jugend“ am Theater Basel die Stadt unsicher und hinterfragt die Grenzen gesellschaftlicher Systeme. Wessen Grenzen werden wie überschritten? Und wie handeln wir, wenn unsere missachtet werden?

Foto oben: Lucia Hunziker
Beitrag von: am 10.06.2025

„Ode an die gewaltbereite Jugend“ ist ein Live-Film von Sebastian Nübling, der im Basler Schauspielhaus ausgestrahlt wird und auf den Straßen der Stadt spielt. Das Stück beginnt dort, wo Nüblings Inszenierung „Dämonen“, welche 2023 uraufgeführt wurde und ebenfalls aus Live-Aufnahmen bestand, aufhört. Nübling experimentiert schon in mehreren Stücken die Form des Live-Films und dehnt so die Grenzen des Theaters aus.

Der Bildschirm auf der Bühne wird in sechs Aufnahmen geteilt. Jede Aufnahme gehört einem Clown, der mit einer Selfie-Kamera gefilmt wird. Das Stück beginnt mit Dankestiraden an die Straßen, Ampeln, Steinmauern der Stadt. Diese erinnern an Paulus Goerdens Videos über Alltagsinstallationen, denen er mit zarten Beschreibungen seine Bewunderung ausspricht. Man schmunzelt an dieser Stelle, fragt sich aber dennoch, was genau kritisiert wird und was nicht. Die Begrünung der Stadt oder deren Mangel? Das Privileg einer funktionierenden Infrastruktur oder der Autoindustrie?

„Chasch no?“

Die positive Fassade fällt in der nächsten Szene, wo ein Clown Passant:innen „Chasch no?“ („Kannst du noch?”) fragt. Bei dieser Frage wehren sich bellend die Hunde eines Interviewten gegen die Clowns und die Truppe rennt panisch den Spalenberg zum Rathaus hinunter, während das Publikum schallend lacht.

Die Frontkamera wird eingeschaltet und die Clowngemeinschaft löst sich auf, jede:r Clown durchstreift Basel für sich allein. Die von ihnen, die in Basel zuhause waren oder sind, schwelgen schnell in Erinnerungen an bestimmte Straßen, Kreuzungen oder Stellen. Ab hier beginnen sich die Persönlichkeiten der Clowns zu kristallisieren. Clown #6, gespielt von Antoinette Ullrich, spricht über einen Fluch der Stadt. Dass ihr hier niemand eine zweite Chance eines Lebensentwurfs zugesteht und man ewig an die Stadt gebunden ist. Man fragt sich bei dieser Einstellung: Ist das nicht Teil einer Gemeinschaft? Auszuhalten, dass Menschenkontakt auch bedeutet, negative Begegnungen zu haben, und man eine gesetzte Identität erhält, über die man kaum Einfluss hat?

Sechs Clowns in der Stadt Basel mit Selfiekameras, die sie vor sich halten Die Clowns in der Stadt Basel. Foto: Lucia Hunziker

Clown #5, gespielt von Julian Anatol Schneider, beschäftigt sich mit Raum und Bewegung in der Stadt und erzählt darüber, dass ihm früher nicht bewusst war, dass sein Parkourtreiben rebellisch war. Er klettert demonstrativ eine Schräge hoch und wird gefolgt von einer Gruppe von Kindern. Durch das Einschlagen unbestimmter Wege widersetzt er sich der Effizienz-Kultur. Die Grenzen, die uns offizielle Straßen und Wege setzen, stehen hier symbolisch für ein System, dem wir uns zu folgen entscheiden.

Grenzen der Wirklichkeit

Im Kontrast dazu stehen die Schilderungen von Clown #1, der von Julie Ilunga gespielt wird. Sie berichtet mehrmals von Erfahrungen von geflüchteten Menschen und wie sie der bürokratischen Gewalt des schweizerischen Asylwesen ausgesetzt sind. Im Gegensatz zu den anderen Mitclowns, ist Ilunga die einzige Person of Color und schildert generelle Erfahrungen von marginalisierten Menschen, anstatt über ihre rein individuellen Erlebnisse zu berichten. Während die anderen Figuren über Grenzen reden, die sie sich selbst setzen, spricht Ilunga über greifbare Ausgrenzungen, die der Staat trotz hohen Kosten ausübt, sei es durch Asylabweisungen oder Ausschaffungsgefängnisse.

Das letzte große Ereignis im Stück findet wieder auf dem Marktplatz statt, wo sich die Clownbande mit einem Stein in der Hand gegen das Rathaus richtet – und dann weiterzieht. Der Frust, welchen die Figuren uns geschildert haben, können sie nicht auflösen, wodurch die Handlung in der Schwebe bleibt. Die Momentaufnahmen zeigen einen Makel der Live-Filme bei dieser Inszenierung. Man erfreut sich an den realistischen Reaktionen und Begegnungen mit Passant:innen, ist aber auch den Grenzen der Wirklichkeit und des Rechts ausgesetzt.

Auf der Bühne hätte man die Gewaltbereitschaft der Jugend tiefgreifender erleben und darstellen können, auf den Straßen wird sie nur ansatzweise „performt“. Die Story leidet darunter, dafür wird die Message deutlich: Wir unterliegen Grenzen. Hätten die Clowns den Stein auf das Rathaus geworfen, hätten sie sich größerer Gewalt ausgesetzt als sie selber ausgeübt hätten. Wortlos kommt die Clownbande schließlich im Theatersaal an. Es wird schwarz und der Saal applaudiert.

 

Öl Cy Ël im Porträt mit Oberkörper von der linken Seite

Öl Cy Ël. Foto: privat

Öl Cy Ël ist 2002 in Schaffhausen geboren und studiert seit 2024 Literarisches Schreiben in Biel. Aufgewachsen mit Videospielen ist dey fasziniert davon, wie Erzählung und (virtueller) Raum miteinander interagieren. Dey schreibt für die Bühne, sei es Spoken Word oder Theater. Nebenbei mischt Öl in literarischen Reportagen die Welt der Fiktion und der Realität miteinander.