Kritik

„Randen Saft Horror“ vom Theater HORA in Zürich

Online beim Turbo-Festival am 03.06.2021

Foto oben: Niklaus Spoerri
Beitrag von: am 04.06.2021

Eine Saftige Schlägerei

„Randen Saft Horror“ heißt die Tanzperformance, mit der das diesjährige Turbo-Festival am Theater der Jungen Welt Leipzig startet. Was ist darunter zu verstehen? Ein Hinweis: Das Stück stammt vom Züricher HORA Theater. Noch nicht geklickt? Na gut, hier die Auflösung: Raden ist Schweizerdeutsch und bedeutet Rote Beete. Rote Beete Saft Horror also. Das Publikum, das sich an diesem Festivalabend in die Zoom-Übertragung aus Zürich eingewählt hat, merkt schnell: Was draufsteht, ist auch drin. Das Ensemble der Horrorperformance, bestehend aus den drei Performern Noha Badir, Gianni Blumer, und Matthias Grandjean, beginnt nach wenigen Minuten eine wahre Saft-Schlacht. Die hellrote Flüssigkeit, die in der Mitte der Bühne in zahlreichen Plastikflaschen abgefüllt dasteht, spritzt Blut-ähnlich auf weiße Hemden. Schon bald haben sich die Performer und ihre Kleidung an den roten Teppich, mit dem die Bühne bedeckt ist, angepasst.

Noha trägt einen Strohhut und hat sich mit Klebeband Metalllöffel an alle Finger gebunden, die wie Klauen aus seinen Händen ragen. Eine Hommage an einen seiner liebsten Horrorfilm-Bösewichte Freddy Krueger, wie er im Nachgespräch verrät. Die Liebe zum Horror strahlt der Performance aus allen Poren. Ein riesiges Banner im Hintergrund trägt die grauen Buchstaben „Horror-Film“. Die Musik vermischt in einer wilden Soundkulisse die Soundtracks bekannter Gruselfilme. Dazu gibt Regisseurin und Choreografin Tiziana Pagliaro Live-Regieanweisungen. Sie ist immer wieder kurz am Bühnenrand zu sehen, wie sie die drei Spieler konzentriert beobachtet und gedämpft in ein Mikrofon spricht. Wie die Performer hat auch sie eine Behinderung. Dieser Fakt ist leider nicht so normal, wie er in der Theaterwelt sein sollte. Und deshalb ist es etwas Besonderes, dass diese Performance laufen darf. Denn das viertägige Turbo-Festival bezeichnet sich selbst als inklusiv. Das bedeutet: Die Produktionen, die zu sehen sind, sind von und mit Künstler:innen mit Behinderung. „Wir verstehen uns als ein offenes Theaterhaus. Wir begegnen unserem Publikum auf Augenhöhe. Unsere Arbeit bezieht alle Menschen mit ein“, heißt es vom Theater der Jungen Welt. Das Turbo-Festival ist ein Schritt zur nachhaltigen Inklusivität. Dazu gehört auch, dass Stücke Audiodeskription haben. So auch „Randen Saft Horror“. Im Zoom-Meeting erscheint in der unteren Leiste ein kleiner Button. Wird der gedrückt, ertönt die Stimme der Dolmetscherin, die erklärt, was auf der Bühne passiert. So können auch Menschen mit Sehbeeinträchtigung dem Geschehen folgen.

„Wie in Trance bewegen Noha und Matthias ihre Arme“, kommentiert die Dolmetscherin etwa. Die Hand vor sein Gesicht gestreckt, kontrolliert Noha Matthias‘ Bewegungen. Dann wechselt die Machtposition und Noha liegt plötzlich am Boden. Die Rollen wechseln rasant von Angreifer zu Getroffenem. Die wilde Schlacht geht weiter. Die Saftflaschen dienen als Waffen, einer der Performer verpasst dem anderen einen Fußtritt, dieser fällt getroffen zu Boden. Wer wer ist, ist im aufkommenden Nebel und Stroboskop-Licht nicht leicht zu erkennen. Einer liegt zappelnd am Boden, während er von den unsichtbaren Kugeln einer Maschinenpistole zerfetzt wird, ein anderer zuckt unter sirrenden Elektroschocks. Die Bewegungen der Spieler fügen sich perfekt in die Soundeffekte, live gemischt von Remo Beuggert. Über das ganze Stück hinweg ertönen außerdem typische Horror-Sounds wie Glockenschläge oder Katzenschreie. Oft sind diese Sounds so wild übereinandergelegt, dass es willkürlich wirkt. Schade ist außerdem, dass schon nach 30 Minuten alle blutüberströmt auf der Bühne liegen und so die völlige Eskalation schon früh erreicht ist. Das lässt für den Rest des knapp einstündigen Stücks nur noch Wiederholungen übrig, Spannung bleibt aus, weil es keinen Höhepunkt mehr gibt, zu dem hingeführt werden könnte. „Mir ist nicht so ganz klargeworden, ob eine Geschichte erzählt wird, und ob es überhaupt klare Rollen gibt“, merkt eine Zuschauerin im Nachgespräch mit dem Ensemble an, und schiebt hinterher: „Aber vielleicht denke ich auch zu viel nach.“  Auch wenn die Dramaturgie also Fragen aufwirft, eines wird klar: Dieses Stück ist aus Liebe zum Horrorfilm entstanden. Und es bewegt sich irgendwo zwischen Parodie und Liebeserklärung an dieses Genre.

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