Throwback: Pandemie vor vier bis fünf Jahren. Die fünf Jugendlichen Eleni, Joe, Luise, Kayra und Benny treffen sich zu illegalen Raves. Nachdem die Zeit der Kontaktbeschränkungen vorüber ist, sehen sie sich bei ihrem ersten Clubbesuch nach der Pandemie wieder und stellen fest; irgendwie ist alles anders. Benny, der an diesem Abend die Einrichtung im Club zerschlägt, einen Stromschlag erleidet und im Krankenhaus landet, setzt die Ereigniskette in Bewegung – und das zwingt die Freunde zum Blick zurück.
Lutz Hübner und Sarah Nemitz bieten in ihrem Stück „The Drop“ einen Raum für junge Menschen, die während der Pandemiezeit ihre Jugend verbracht haben. Die individuellen Perspektiven der Freunde zeigen deutlicher als jede Draufsicht, wie die Pandemiejahre die Figuren in dieser prägenden Phase beeinflusst haben. Eleni (Ayla Pechtl) kommt in der Schule nicht mehr mit, beginnt eine Ausbildung und ist heimlich verliebt in ihre Freundin Luise. Luise (Hannah Joe Huberty) fühlt sich verantwortlich für den Tod ihrer Oma, die an Covid-19 gestorben ist und will mithilfe von Partys ihre Sozialphobie überwinden. Kyra (Eva Maria Schindele) kann nicht alleine sein und beginnt eine Beziehung mit Joe (Cem Bingöl), der in dieser Ausnahmesituation versucht eine DJ-Karriere aufzubauen. Benny (Felix Werner-Tutschku) stemmt auf einmal Gewichte, versucht sich irgendwie zu regulieren.
Guus van Geffens reduziertes Bühnenbild bietet viele Funktionen, macht die Barzeile zum Tresen der Notaufnahme oder zum DJ-Pult. Vor kühlen beigen Leinen der Bühnenwand feiern die fünf in der Retrospektive ihre legendären Park Partys und Karaoke Abende und stehen im nächsten Moment wieder vor dem Krankenhausbett von Benny.
Switch von Fantasie- zu realer Welt
Die schnellen Schnitte und Szenenwechsel zwischen Tanz und Kollaps sind fließend und lassen die 100 Minuten kurzweilig wirken. Auch die kontinuierlich verschwimmenden Grenzen zwischen Fantasie- und realer Welt stützen diesen Eindruck. In diesem Switch zwischen den Welten liegen klug platzierte Erinnerungen der Regie Liesbeth Coltofs: An isolierte Tage, soghaftes Abtauchen am Smartphone und die Flucht in die eigene Fantasie. Die in Neonfarben leuchtenden Kostüme von Carly Everaert zwischen Baggy Bermuda, Tank Top und pinkem Plüsch unterstreichen den Tanz auf der Linie zwischen Clubkleidung und Fantasie-Avatar.
In dieser prägenden Zeit sozial eingegrenzt zu sein, hinterlässt Spuren – Spuren, die im Rahmen der Stückentwicklung aus Gesprächen mit Jugendlichen hervorgegangen sind. Die Stückmacher erforschen diese mit heterogener Musik, die von Händel und Purcell bis zum britischen Singer Songwriter Ren reicht. So erklingt bei einem Abend in der improvisierten Karaoke Bar auf einmal Franz Schuberts Kunstlied „Der Wegweiser“ als Intro zu „With or Without You“ von U2. Die musikalische Gestaltung von Matts Johan Leenders wird in ihrer identitätsstiftenden Funktion während der Jugendzeit ernst genommen und kreativ genutzt: als Mood Booster, Gefühlsöffnerin, Wut-Ventil und Gemeinschaftsstifterin.
Cem Bingöl, Eva Maria Schindele, Felix Werner-Tutschku, Hannah Joe Huberty. Foto: Thomas Rabsch
Die Verbindung von klassischer Musik und Operngesang mit Rave Elementen passt wie maßgenschneidert in den Zeitgeist, wo Crossover Veröffentlichungen, beispielsweise von Popsängerin Rosalia viral gehen. Die emotionale dramatische Anmutung der Musik wird in Liesbeth Coltofs Inszenierung eng mit der Handlung verwoben. Die Freunde träumen sich mithilfe der zwei Sänger:innen Katya Semenisty (Mezzosopran) und Henry Ross (Tenor) in mehrstimmig begleitete Parallelwelten und durchleben ihren Weg ohne eine Pandemie. Auf einen Monolog folgen arienhaft gesungene Antworten, die Worte hervorheben und es schaffen, durch Irritation über den Inhalt des Textes hinauszuwachsen.
Ringen um Verbindung
Wer ist Bennys Notfallkontakt? Wer steht ihm nah? An Konflikten wie diesen zeigen die Autoren eindringlich und berührend den durch die Pandemie verwirrten Kompass von Nähe und Distanz. Das Ringen um die Verbindung zueinander gelingt schauspielerisch besonders in Szenen mit hoher Energiefrequenz, in denen die Freunde nach einem Verantwortlichen für Bennys Zusammenbruch suchen.
Die Songtexte des britischen Sängers Ren kreisen um psychische Krankheit, den Umgang mit Schmerzen und aufgewühlte Wut – jene Wut, die sich auch die fünf Freunde im Verlauf des Stücks zunehmend eingestehen und nicht mehr verdrängen wollen. All das wirkt authentisch, ein bisschen überdramatisch aber in Verbindung mit den durchdringenden Texten von Lutz Hübner und Sarah Nemitz niemals rührselig.
Mit einem Vorschlag an die Gesellschaft im Allgemeinen und jede erwachsene Person individuell wendet sich Luise im Kreis ihrer Freunde an das Publikum: „Wir sind bei euch, bis ihr so lange zurückgeblickt habt, bis ihr wieder nach vorn blicken könnt. Wir hätten zurückgefunden. Hätten uns angesehen. Und wären weitergegangen. Zusammen.“