"Blutbrot" am Theater Aachen

Kritik

Zerkauen der Geschichte

Die Uraufführung von „Blutbrot“ am Theater Aachen, inszeniert von Jakob Weiss, katapultiert uns tief in die Schuldfrage vergangener Naziverbrechen. Dabei tritt „Blutbrot“ zugleich aus den kontaminierten Schatten der Schuld heraus und bringt Licht in wirre Gedanken.

Foto oben: © Thilo Beu
Beitrag von: am 27.09.2025

Von wohligen Plüschsesseln aus durchlebt das Publikum erstens: eine Verweigerung, zweitens: eine Vertuschung, und drittens: eine Verzeihung. Das alles ist „Blutbrot“, Gewinnerstück des Kleist-Förderpreises 2025, geschrieben von Miriam Unterthiner. Die Uraufführung am Theater Aachen, inszeniert von Jakob Weiss, katapultiert uns tief in die Schuldfrage vergangener Naziverbrechen. Das Stück legt den Finger dabei gezielt auf ein Verbrechen, dass sich in Südtirol – wo Unterthiner aufwuchs – abgespielt hat, als hochrangige NS-Täter:innen wie Adolf Eichmann oder Josef Mengele über den Brennerpass vor dem Einmarsch der Alliierten flohen. Damit entflohen sie auch dem Gericht. Hilfe bei der Flucht bekamen sie von den Tiroler Dorfbewohner:innen. Unterthiner abstrahiert diese Schuldfrage mit Brot. Es füttert die Inszenierung und verlangt: Macht etwas mit mir!

Das Bühnenbild besteht aus einer aufwändig modellierten Bergattrappe mit aufgemalten Schneekuppen und grüner Almwiese. Kleine Miniaturfiguren führen ein idyllisches – und unschuldiges? – Tiroler Dorf vor. Nola Friedrich, Thomas Hamm, Philipp Manuel Rothkopf und Janina Sachau, in hübsche Trachten gekleidet (Kostüm: Elena Gaus), erklettern und umtänzeln diese Berglandschaft als unwissende Dorfbewohner:innen. „Das Dorf“ ist verwundert, als es dem Brot zum ersten Mal begegnet. Gibt es da etwa eine Schuldfrage zu klären? Es versucht zu vertuschen, dass es von dem Brot gegessen hat, und verkennt, dass es Schuld in sich trägt, NS-Verbrechern über den Brennerpass geholfen zu haben. Das Brot, das mit dem Zerkauen und Schlucken in den Körper gelangt und Teil von ihm wird: eine Metapher für uns, die nachfolgenden Generationen, die noch immer auf ihrem Brot kauen.

Unterthiner, die aus Südtirol stammt und durch die Figur der Autorin (Maurice Läbe) selbst ein Teil des Stückes ist, verdichtet mit „Blutbrot“ ein Stück Familiengeschichte. Ihr Text gibt offen zu, dass die Vergangenheit ihres Heimatortes sie stark beschäftigt.

„Blutbrot“ am Theater Aachen © Thilo Beu

Brot für Generationen

Mit einer gehörigen Portion Wortakrobatik führt Unterthiner den Begriff Brot ad absurdum, indem es bis zum Erbrechen oft wiederholt wird. Weiss hebt den Effekt besonders hervor:  Das schöne und sonst so dankbare Wort Brot soll uns zum Hals heraushängen. Und gleichzeitig kann weder das Dorf noch das Publikum noch das „Wir“ aufhören, von dem Brot zu essen.

Warum? Weil wir uns seit dem Zweiten Weltkrieg in einem Generationenkonflikt befinden, über den wir zwar reden (kauen) und den wir annehmen (schlucken), aber nicht verarbeitet bekommen (verdauen). Das Brot der Schuld liegt schwer im Magen, während die Debatten kein Ende nehmen. Bewusst wird zwischen Verweigerung und Vertuschung balanciert. Einerseits weiß das Dorf, dass es Mitschuld trägt, andererseits will es davon nichts wissen. Das Brot wird zerkaut, bis es ganz weich und geschmacklos ist, ohne dass die Schuldfrage gelöst und die Debatten geklärt sind. Dabei wird keineswegs Geschichte und Schuld relativiert. Vielmehr lautet der Appell: Redet nicht um den heißen Brei herum, stellt euch dem, was gewesen ist, statt „den Brei Brei sein zu lassen.“

Weiss legt dem Ensemble wortwörtlich Brot in den Mund – von einem Laib Brot wird immer wieder ein Stück abgerissen und gegessen. Das Brot tritt in Gestalt von Elke Borkenstein immer wieder in Aktion und wandelt gemessenen Schrittes barfuß als eine personifizierte Wunde durch das Bild, die von dem Dorf mal ignoriert, mal sich aus Ferne gruselnd betrachtet wird.

Das Dorf, das von der Rolle der „unablässig Brot essenden Autorin“ – Unterthiner verschont niemandem vor einem Bissen – Chor genannt wird, ist Sinnbild für eine sich der Verantwortung verweigernden Gesellschaft. Es hört genauso weg wie es sich letztendlich selbst mit seiner schweren und für andere unnachvollziehbaren Last der Schuld beweihräuchert. Damit verschließt es sich vor Klarsicht und Haltung.

Doch es bei einer Anklage zu belassen, wäre zu leicht. „Blutbrot“ will aus den kontaminierten Schatten der Schuld heraustreten und Licht in die wirren Gedanken bringen. Die Lösung liegt im Verzeihen, das sei die größte Rache, sagt die unablässig brotessende Autorin. Denn damit lernen wir erstens: Schuld anzuerkennen, zweitens: mit ihr umzugehen, und drittens: zu verzeihen.

Foto: privat

Johanna Demory ist 25 Jahre alt und hat Kommunikationswissenschaften an der RWTH Aachen studiert. Sie  interessiert sich für Literatur und Poesie und liest mit großem Eifer Gedichte, Klassiker und Theaterstücke. Egal, wohin unterwegs, es müssen immer mindestens zwei Bücher mitkommen. Neben dem Studium arbeitete sie für die Aachener Zeitung, wo ihre ersten Theaterkritiken erschienen.