Kritik

Mit Maria Stuart im Fahrstuhl

Regisseurin Rena Dumont entwickelt mit Jugendlichen „Begehren“, einen Theaterabend, der Dramen-Klassiker neu montiert zu einer Collage über zeitlose Gefühle. Premiere am 20. September 2023

Foto oben: Rena Dumont
Beitrag von: am 21.09.2023

Mit Maria Stuart im Fahrstuhl stecken bleiben? Neben Romeo am Pissoir eines Nachtclubs stehen? – Solche und mehr skurrile Szenarien werden in „Begehren“ lebendig, der fesselnden Inszenierung von Rena Dumont, die am 20. September 2023 Premiere im Theater Leo17 in München hatte.

„Begehren“ ist von Jugendlichen für Jugendliche. Die Regisseurin hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, der jungen Generation die Werke der Weltliteratur wieder näherzubringen. Mit berühmten Monologen und Dialogen aus den Klassikern von William Shakespeare, Johann Wolfgang von Goethe oder Oscar Wilde gepaart mit eigenen Texten und dem Sprech der Gen Z wird das Stück zu einer kreativen Collage. Die Stoffe von damals prallen auf die (Pop-)Kultur von heute und hangeln sich am Geschehen rund um elf Putzfrauen entlang. Aus deren Mitte entstehen plötzlich vertraute Figuren, wie Salome, Julia Capulet oder Goethes Stella, allesamt in einem modernen Setting, miteinander verwoben durch eins: ihr Begehren.

Fließende Grenzen und Rollenwechsel

Die Atmosphäre ist spürbar aufgeladen, als sich das bunt gemischte Publikum im Leo17 versammelt, gespannt auf diesen vielversprechenden Theaterabend. Gleich zu Beginn schaffen die besagten Putzdamen eine humoristische Meta-Ebene, wenn sie sich mit Eimer und Wischmopp durch die Reihen zwängen und lauthals mit überzeugendem (und aufgrund der tschechischen Wurzeln Rena Dumonts auch nicht fehl am Platz wirkendem) osteuropäischen Akzent schwatzen und mit den Zuschauer:innen interagieren. Sie bieten einen erfrischenden Kontrast zur Gravitas der klassischen Texte und ihren tragischen Figuren und lockern die durchaus dichte Inszenierung auf.

Die Freie Theater Company lädt das Publikum mit „Begehren“ auf eine Reise ein. Die Inszenierung entpuppt sich als regelrechte Wundertüte, ist frech und rasant, auch mal bedrückend und sogar gruselig. Wie in einem Fiebertraum geht die „Heilige Johanna“ nach G.B. Shaw nahtlos in Schillers „Maria Stuart“ über und Oscar Wildes „Salome“ in Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“, als die Figur Pauline Piperkarcka im Kreise der Putzfrauen ihr uneheliches Kind gebärt. Hier, im lila-pinken Wohnzimmer, befindet sich der Dreh- und Angelpunkt, der Sammelplatz, an dem die Putzdamen am Feierabend zusammensitzen und sowohl als Zuschauerinnen das Geschehen kommentieren als auch als Akteurinnen mittendrin sind. Genau diese fließenden Grenzen und Rollenwechsel machen das Stück so spannend, auch wenn es oft herausfordernd ist, den Überblick zu behalten. Dieser dynamische Ansatz könnte bei den Zuschauer:innen, die mit den zugrunde liegenden Werken nicht oder nur rudimentär vertraut sind, für Verwirrung sorgen. Doch genau das mag auch die Absicht sein – Neugierde wecken und Lust machen, sich mal mit diesen Klassikern auseinanderzusetzen.

 

 

Neue Lust auf alte Klassiker

Es erfordert Mut und Hingabe, so komplexe Texte in einer Form darzustellen, die junge Schauspieler:innen nicht nur verstehen, sondern auch verkörpern können. Rena Dumont, selbst Method Acting-Schauspielerin und -Coachin, stellt das rohe Spiel in den Vordergrund und bringt es auf tiefe emotionale und körperliche Ebenen. Die Inszenierung setzt auf ein reduziertes Bühnenbild mit nur wenig Requisiten und lässt die Präsenz der Darsteller:innen umso mehr strahlen. Das monatelange intensive Schauspieltraining hat sich ausgezahlt. Die Jugendlichen beweisen viel komödiantisches Timing und einige von ihnen liefern Monologe, die unter die Haut gehen. Das hier ist modernes Theater; eine Brücke zwischen dem Alten und dem Neuen, ein Zeugnis für die Zeitlosigkeit der Weltliteratur und das Talent einer neuen Generation. Kostüm und Bühnenbild sind vergleichsweise minimalistisch, aber pointiert, bestehen außerdem nicht aus neu Gekauftem, sondern, im Sinne der Nachhaltigkeit, aus bereits Vorhandenem in upgecycelter Form.

Durch die Fülle an Klassikern – auch wenn diese lediglich auf ihre Quintessenz heruntergebrochen werden – wird den Digital Natives die überdauernde Gültigkeit von Motiven wie Begehren, unglücklicher Liebe, Betrug, Isoliertheit und Verzweiflung deutlich gemacht. Die ironische Distanz, die das Stück immer wieder einnimmt, zeigt auch, dass die unausweichlichen Katastrophen am Ende schlicht und ergreifend Teil des Genres sind. „Begehren“ steht unter der Prämisse, dass die alten Werke immer noch die Macht haben, die Herzen der Jungen zu berühren. Und wer weiß, vielleicht bekommen auch die Älteren nach diesem Abend wieder Lust, die verstaubten Reclam-Bücher aus dem Regal zu holen.

 

 

 

Theresa Eckert, 28 Jahre, hat Germanistik und Literaturwissenschaft in Salzburg und München studiert. Ihre Freizeit verbringt sie schon immer gerne im Theater, Kino oder Museum. Nach beruflichen Stationen in der Film- und TV-Branche vertieft sie momentan ihre Fähigkeiten als Online-Redakteurin.

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