Story

Schauspielschultreffen 2023 in Potsdam

Das diesjährige „Schauspielschultreffen“ in Potsdam stand unter dem Motto „Alles im Blick“. Etwa 300 Teilnehmer:innen, davon ca. 220 Schauspielstudierende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz tauschten sich über aktuelle Themen rund um die darstellenden Künste aus und beschäftigten sich mit Diversität in Theater und Film. Tobias Neumann war dabei und berichtet euch hier von seinen Eindrücken.

Foto oben: Saba Hosseini
Beitrag von: am 01.07.2023

Hi! Ich bin Tobi (er/ihm), studiere in Ludwigsburg Schauspiel, und war mit meiner Klasse beim diesjährigen Bundeswettbewerb deutschsprachiger Schauspielschulen in Potsdam. Was sich anhört wie eine Mischung aus Sportfest und Trimagischem Turnier, entstand aus der Idee, nach dem Mauerfall für mehr Verständigung zwischen den ost- und westdeutschen Instituten zu sorgen. Dreißig Jahre später treffen sich einmal im Jahr Schauspielstudierende aus dem dritten bzw. vierten Jahr der unterschiedlichen Hochschulen, dabei ist eine von ihnen Gastgeberin. Dieses Mal die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, welche eine ganze Woche ausrichtet, in der pro Hochschule ein Ensemble eine einstündige Inszenierung spielt, wovon eine Jury am siebten Tag Preise für die gesamte Gruppe oder Studierende mit herausragenden Leistungen vergibt. Bevor es richtig losgeht: Ich bin weiß, cis-männlich, queer, able-bodied und glaube daran, dass meine Identität auch meine Wahrnehmung formt. Meint, ich bin für einige Phänomene einfach blind, weil nicht betroffen. Was jetzt kommt ist also nur meine Perspektive der Dinge. Viel Spaß dabei. 🙂

Auf der neunstündigen Flixbusfahrt von Ludwigsburg nach Potsdam hatte ich gemischte Gefühle, was da wohl auf mich zukommt: 7 Tage, 18 Theaterstücke, 5 Workshops und 200 Schauspielstudierende. Ich habe vorsichtshalber mal Kopfschmerztabletten eingesteckt und erwartete, mich in einem High-School-Film wiederzufinden voller wunderschöner, wahnsinnig interessanter, hyperartsy Individualist:innen, die mich judgy anschauen, wenn ich sie frage, ob ich mit ihnen an einem Tisch sitzen darf. But no! Die sieben Tage haben mich nicht ausgelaugt, sie haben mich krass gepusht. Es tat so gut, mit Studierenden anderer Schulen zu reden (because Theaterhochschule is a small world), die sehr unterschiedlichen Spielweisen und Ästhetiken auf der Bühne zu erleben, die zukünftigen Kolleg:innen zu fragen, wie sie geprobt haben. Alles Gold wert, um aus meiner eigenen Denksuppe hinauszukommen. Nebenbei: Jedes Schauspielschultreffen läuft unter einem Motto ab. Bei uns war es dieses Jahr: „Alle im Blick“. Was erstmal sehr allgemein daherkommt, lässt sich in so viele Richtungen denken. Wer ist mit „alle“ gemeint und wer oftmals nicht? Fühlen sich alle auf der Bühne und auf dem Bildschirm repräsentiert? Vor allem die, die etwas salopp gesagt nicht dem biodeutschen Sat.1-Vorabendprogrammtypus entsprechen? Wie können wir safe spaces im Arbeitsleben schaffen und zwar nicht nur für uns selbst? So wertvoll und dankbar ich bin, dass auch die Workshops Teil des Treffens sind – eine Beobachtung habe ich gemacht, die für mich nicht neu ist: Gerade in Vorträgen, die Diskriminierung thematisieren, sitzen allen voran Betroffene. Ich habe vollstes Verständnis für Müdigkeit, der Verlockung des Badesees und me-time. Aber: Für eine wirkliche Veränderung braucht es Mitstreiter:innen, die nicht betroffen sind und sich trotzdem stark machen. Und das fängt mit Wissensbildung an.

Foto: Saba Hosseini

Ein weiterer unverhofft großartiger Teil der Woche war die Feedbackrunde, die für jede Inszenierung am Tag darauf stattfand. Hierfür wurden wir in Teile der DasArts-Methode eingeführt. Kleiner Crashkurs: Es geht darum, „Feedback“ wörtlich zu nehmen. Dem Ensemble, das für uns spielte, Futter zurückzugeben, das verdaubar formuliert, Energie zur Weiterarbeit geben soll und eben nicht im Nachgang übel riechend ausgeschieden wird. Zugegeben, die Erklärung geriet etwas plastisch, aber das ist es im Grunde. Hinzukommt, dass jede:r Feedbackgebende angibt, aus welcher Perspektive jetzt gesprochen wird (Beispiel: „Ich als Feminist:in, POC, Zuschauer:in, Schauspielstudierende:r etc.). Das hilft bei der, ich sag´s euch. Und props an alle, die so oft dabei waren: Ihr wart so diszipliniert und darauf bedacht, eure Kritik gleichzeitig sehr konkret und dabei respektvoll für die dahinterliegende Arbeit zu formulieren. Das imponierte mir sehr und spiegelt den allgemeinen vibe unter den Leuten wider. Standfest in der Meinung und dabei empathisch.

Ich mach den Sack mal mit dem Spiel auf der Bühne zu: Verzeiht mir bitte die Wortwahl, aber ach-du-scheiße. Ich habe noch nie vor so einem großen Publikumssaal, vor allem nicht vor so vielen Leuten gespielt. Gemeint ist der große Saal des Hans Otto Theaters in Potsdam. Ich war so aufgeregt wie lange nicht mehr, und musste leider erfahren, was Nervosität mit mir machen kann: pushen bis der Arzt kommt und mehr beim Publikum sein als in meiner Rolle. Das war und ist ein Lernen mit Schmerzen und ich hinterfrage mich und das, was ich bisher meinte gelernt zu haben, seitdem sehr. Unangenehm, gehört aber dazu und ist besser als Stillstand. Dafür waren andere Vorstellungen so inspirierend in der Art wie die Kommiliton:innen dort oben Timing, Witz, Spiellust und gegenseitigen Support vereinten!

Ich sitze also in einer einerseits beseelten und andererseits tief verunsicherten Stimmung hier im Flixtrain auf dem Weg nach Hause. Scheinbar sind die Fenster in Wagen 7 beschädigt, weswegen wir schon zwei Stunden auf einem Bahnhof irgendwo in Brandenburg gestrandet sind. Während ich mir auf Gleis 2 die Beine vertrete und ringsum in Prärie und kahle Gebäude blicke, denke ich mir, dass das Ganze eine ziemlich bereichernde Erfahrung war. Und dafür danke ich allen Beteiligten, die ebenfalls „Alle im Blick“ sein sollten und die diese Wochen dann doch so schön gemacht haben.

Die Schäden am Zug wurden mittlerweile beseitigt, und wir können endlich weiterfahren. Ich steige ein und bin gespannt, was als nächstes passiert.

 

 

 

Foto: Niklas Vogt

Zum Autor:

Ich wurde 1993 in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Bevor ich mit 27 Jahren in Ludwigsburg für Schauspiel angenommen wurde, habe ich Logopädie studiert und in diesem Beruf vier Jahre in Pflegeeinrichtungen gearbeitet. Parallel war ich immer Teil freier Theatergruppen. Diese gaben mir die Möglichkeit viel zu spielen und vor allem als Teil einer Gruppe zu denken. Letzteres hilft mir im Schauspielstudium ungemein.

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