Kritik

„Was ihr wollt“ am Theater an der Parkaue

In Shakespeares 1623 veröffentlichter Liebes-Komödie kann man schnell den Überblick verlieren. Klar ist: Alle sind verliebt, doch leider in die Falschen. Alle haben Sehnsüchte, die unerfüllbar sind. Es wird sich verkleidet, ausgetrickst, verwechselt und verirrt. Regisseur Alexander Riemenschneider und sein Ensemble stürzen sich am Theater an der Parkaue voller Freude in die Liebeswirren.

Premiere: 17.01.2024

Foto oben: David Baltzer
Beitrag von: am 18.01.2024

Sitcom mit Bildungsauftrag

 

Nach einem Schiffbruch landet Viola am Strand des seltsamen Landes Illyrien. Ihr Zwillingsbruder Sebastian soll ertrunken sein, doch es bleibt nicht viel Zeit, den Totgeglaubten zu betrauern: Als Frau allein in einem fremden Land zu stranden, ist alles andere als sicher. Drum schlüpft sie in Männerkleidung und streift fortan als Cesario in das Innere Illyriens. Schnell merkt sie (oder er): Hier ist man chronisch trunken. Vom Wein und vor allem von der Liebe.

Der Herzog des Landes steht auf die Gräfin Olivia. Er schickt Cesario als Boten los, um seine Liebesschwüre zu übermitteln. Die Gräfin findet aber Gefallen am hübschen Cesario (nicht vergessen: eigentlich Viola!), die hingegen bereits für den Herzog selbst schwärmt. Und als der totgeglaubte Sebastian, der das anfängliche Schiffsunglück doch überlebt hat, dazustößt und beim Anblick seiner als Mann verkleideten Schwester seinem Duplikat gegenübersteht, erreichen die Verwechselungseskapaden ihren Höhepunkt.

Am Ende wird zwar geheiratet, was das Zeug hält, doch bekommt keiner den, den er am Anfang wollte. Allein der Narr, der sämtliche Verwechselungsspiele zynisch begleitet hat, verliert sich am Ende nicht selbst.

Verwirrung an der Parkaue

Als ob das wartende Publikum noch nicht genug Verwirrung auf der Bühne entgegenfiebert, wird es zusätzlich bereits vor dem Einlass im Foyer ordentlich Hopps genommen: Eine Person im viel zu großen blauen Anzug und weißer angesteckter Blume setzt sich aufdringlich zwischen wartende Omis, erzählt ungefragt Witze und lässt sie hilfesuchend-lächelnd zurück. Mit strengen Blicken, langem Pferdeschwanz und beeindruckend voluminösen Schnurrbart marschiert eine zweite Person durch Schulklassen und murmelt, gleich noch eine Ansage machen zu müssen. Haben sich mal wieder zwei ulkige Gestalten ins Theater verirrt oder haben hier etwa Riemenschneider und Team schon ihre Finger im Spiel?

Kaum auf seinen Platz gesetzt, erfolgt die Auflösung: Die beiden Quatschbirnen aus dem Foyer stehen plötzlich auf der Bühne und erklären, dass der Darsteller des Sebastian, leider, leider, ausfällt. Doch glücklicherweise hat sich Patrice Grießmeier, Darsteller:in der Doppelrolle Viola/Cesario dazu bereit erklärt, auch noch Sebastian zu spielen. Pappschilder mit Namen sollen dabei helfen, zu markieren, welche der drei Figuren they wann spielt. Über der Bühne hängt ein noch größeres Schild: „Was ihr wollt“. Alles klar, auch ihr auf der Bühne macht an diesem Abend, was ihr wollt.

Lebhafte Musiker und Inspizient mit Spielverpflichtung

„Es braucht nur einen Plan, der ordentlich gegen die Wand fahren kann und du fängst von vorne an“, eröffnen die beiden Musiker Taylor Savvy und Henri Jakobs den ersten Akt. Sie haben für diesen Abend mehrere Songs verschiedener Genres geschrieben, die die folgenden 135 Minuten immer wieder passend kommentieren und für lebhafte Stimmung sorgen. Nach der ersten musikalischen Einlage reißen Seile von der Decke, ein Palmen-Vorhang hängt schief über der Bühne, Licht flackert auf: Schiffbruch in Illyrien.

Überwiegend werkgetreu wird anschließend Szene für Szene durchgearbeitet, viele Dialoge scheinen wortwörtlich nachgesprochen zu werden, zwischendurch gibt es lockere Improvisationen zur Entlastung. Große, bunte Brillen, die Hand im Mülleimer oder übertriebene Schulterklopfer sorgen für Lacher im Premierenpublikum. Dann noch regelmäßig Musik dazu und der Sitcom-Abend mit Bildungsauftrag für Neunt- bis Dreizehntklässler steht. Passt.

Auffällig viel Freude liefert der dramaturgisch geschickt gewählte Einfall, den Diener der Gräfin, Malvolio, als Inspizient zu interpretieren. An einem zum Publikum hin geöffneten Inspizientenpult steht Mira Tscherne und spielt Malvolio als schnurrbarttragenden, peinlich-peniblen, aber liebenswürdigen „facility manager aka. Inspizient mit Spielverpflichtung“, wie er von Mitspielenden genannt wird. Nach einem im Suff gefälschten Liebesbrief, glaubt er, Chancen bei seiner Herrin zu haben, doch landet nach übertriebenen Flirt-Versuchen im Kerker. Oder, wie in diesem Fall, unter der Publikumstribüne, gegen die er von unten trommelt oder kleine Zettel durch die Beine der Zuschauer:innen schiebt. Die Malvolio-Inspizienten-Verknüpfung und Tschernes herrlich verschrobenes Spiel sind ein Highlight der Inszenierung, dessen Sitcom-Rezept sonst auf Dauer etwas schleift.

Die Verwandlung als das Wahre

Der Wunsch nach neuen Sichtweisen und Fragen an „Was ihr wollt“ wird kurz vor Schluss erfüllt. Anstatt in der finalen Auflösungs-Szene Shakespeares Ausgang zu folgen, also alle Verwandlungen zu entschlüsseln und heterosexuelle Hochzeiten zu ermöglichen, verbleibt Cesario bewusst in seiner Wandlung. Äußerst überzeugend ist Patrice Grießmeier (Viola/Cesario/Sebastian) anzusehen, dass dieses ständige Hin- und Herrennen zwischen den „Viola“- und „Sebastian“-Pappschildern, den beiden binären Polaren, nervt, anstrengt und zu nichts führt. Erleichterung und echtes Wohlbefinden erlebt they im Spektrum zwischen den Polen.

Den Plan, zu heiraten und sich für das eine oder andere Pappschild zu entscheiden, lassen Riemenschneider und sein Ensemble gegen die Wand fahren. Und wie wir anfangs gelernt haben, lässt sich jetzt neu anfangen: Erst in der selbsterschaffenen Verwandlung, im uneindeutigen „Dazwischen“ kommen wir zum Glück und zu uns selbst. Vielleicht ist es das, was wir wollen.

Weitere Infos zur Produktion und zu Aufführungsterminen findet ihr hier.

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Tillmann Drews (*1998) spielt von 2015 bis 2021 in Jugendclubs mehrerer Berliner Theater. Danach arbeitet er als Festivalassistent für die Autor:innentheatertage und wird unter Ulrich Khuon Dramaturgieassistent am Deutschen Theater Berlin. Hier ist er nun weiter als Gast-Regieassistent tätig und arbeitet nebenbei als Lehrer.

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